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Brief
Franz Strauß an Richard Strauss
Freitag, 17. Oktober 1890, München

relevant für die veröffentlichten Bände: III/4 Macbeth
[1r]

Lieber Richard!

Dein Brief an Mama hat mich sehr überrascht, denn ich hatte nicht mehr daran gedacht, daß am 13ten Dein erstes Concert war, auch die Fräulein Ritter, welche vor einigen Tagen bei uns waren um über ihre Weimarer Eindrücke zu berichten, waren nicht mehr sicher ob am 13ten vielleicht das Concert stattfindet.

Du hast also doch das Unglück unternom̅en eroica und Macbeth an ein und demselben Abend aufzuführen? – Bist also noch einmal blauen Auge[s] davon gekom̅en! – Ich glaube daß das Publikum mit dem Dir gebrachten »stürmischen Achtungserfolg« mehr liebenswürdig war, als daß es Wohlgefallen an der Sache hatte. Ich bitte Dich von ganzem Herzen, lieber Sohn, sei etwas zugänglicher für Ansichten anderer, sachverständiger Leute, welche Deine Ansichten nicht theilen. Selbstbewußtsein laße ich mir ja recht gerne gefallen, aber bis zur Krankhaftigkeit darf es nicht kom̅en. Du hast gerne Neigung zum exper[i]mentiren, aber das darf einer, der es mit der Kunst ehrlich meint, nicht thun, es schadet der Kunst und sich. Du wirst wohl jetzt etwas die Nase rümpfen, und mich mit meiner Anschauung als zurückgeblieben erachten, aber hierin irrst Du Dich, ich gehe mit der Zeit, wenn auch einen etwas gemäßigteren Schritt wie Du, ich verkenne ja gar nicht, daß die Jugend anders [1v] denkt und fühlt als das Alter, aber ein gewisses Zusam̅enstim̅en beider Faktoren war, in dieser Beziehung, zu allen Zeiten, und wird ewig bleiben, es ist ja das rein Menschliche, über das man ungestraft nicht hinauskann. Das Publikum das man bilden und leiten will, muß den Führer verstehen, sonst kann er es nicht führen und läutern, höchstens confus und irre machen. Ich will damit nicht sagen, daß man sich in etwas zu vergeben hat, sich nicht herbei läßt, mit »Micado«kost dem Volke den Gaumen zu kitzeln und mit Süßigkeiten den Magen (Geschmack) [zu] verderben, aber man kann, ohne zu expermendiren [sic], mit großen, nobeln [sic] Gedanken in einfacherem Kleide, ohne den großen Instrumentenglanz das Größte leisten, und wird dann jederzeit und von Jedermann verstanden. Alle großen Künstler, haben zu allen Zeiten, und in allen Künsten, mit den einfachsten Mitteln das Großartigste geleistet, denke nur an die griechischen Plastiker, und an die großen italienischen pp Maler des Mittelalters. –

Ich gebe Dir, zwar mit schwerem Herzen den Rath, weil ich weiß, daß es nichts nützt, überarbeite den Macbeth noch ein mal sehr sorgfältig, und schmeiße dann übermäßigen Wulst von Instrumentenfett hinaus, und gebe dem Hörer mehr […] Gelegenheit, das heraushören zu können, was Du eigentlich sagen willst; das deutsche Sprichwort, daß man den Wald vor lauter Bäumen nicht sieht, darf man auf ein Kunstwerk nie anwenden dürfen. – »Doch genug des grausamen Spiels!« – Ich glaube das Entzücken des Orchester war auch etwas Liebenswürdigkeit.

[2r] Mit Deinem Ausspruch in dem Brief, daß ich mit Deiner Auffassung der eroica ebenso wenig wie Bronsat und Lassen einverstanden wäre, kannst Du vollständig recht haben, denn ich kann die Bülow’schen Übertreibungen, die nur theils durch fremde Fantasie, und theils durch Blasirtheit entstunden, durchaus nicht billigen, denn die Klassiker vertragen diese Verzerrungen nicht. Du wirst zwar wieder bemerken, daß es »a la Fischer herunterspielen besser wäre«, aber mein lieber Sohn kein Extrem taugt etwas, das Wahre liegt in der Mitte. – Überlege mein lieber Sohn ruhig, alles was ich schrieb, kom̅t aus treuemVaterherzen.

Vor einigen Tagen schon sagte mir der Harfenist Zwerger, daß Fischer, in der zweiten Hälfte der Concerte, in der F[…]ten, Tod und Verklärung machen will und steht auch heute in dem ausgegebenen Program̅ in den neuesten Nachrichten. Mahler spielt in der ersten Saison Dein Violinconcert. Zwerger sagte mir auch, daß Perfall in der Program̅sitzung dabei sein wird, und war begierig zu erfahren, was er zu Deinen Sachen sagen wird, ob er nicht dagegen Einspruch erheben wird. Aber er hatte sich, glaube ich, nicht getraut etwas dagegen zu sagen, nur meinte er ob beide Sachen nicht zu viel sind, bis ihm Fischer sagte, daß es für beide Saison’s berechnet wäre, und damit war er zufrieden. Vielleicht daß er hinterdrein mit Beihilfe des Juden intrigiert.

[2v] Schreibe mir darüber was Du zu thun gedenkts. Jedenfalls würde ich es thun nur dann thun, wenn auch die Direktion mir übertragen würde.

Mein [sic] Deinem Projekt nach Carlsruhe zu gehen bin ich aber gar nicht einverstanden, es sieht ja gerade aus als wenn Du Dich aufdrängen wolltest. Ich rathe Dir entschieden ab, auch schon des Mottl wegen. – Du mußt diesen Leuten gegenüber etwas mehr Bewußtsein haben. Sie thun ja doch Dir entgegen.

Ritters Töchter waren von ihrem Weimarer Aufenthalt sehr entzückt. Aber Dein Portrait von […] waren sie nichts weniger als entzückt. Es hat ihnen gar nicht gefallen. Heute Abend werde ich vielleicht Ritter bei Leibenfrost sehen, doch nicht ganz gewiß, denn ich fürchte das Wein trinken.

Mama geht es ausgezeichnet, mir zwar auch gut, aber nicht so ganz, Hanna hat einen sehr heftigen Katarrh, sonst wäre alles recht. Schreibe recht bald, und schicke uns recht bald Deinen Operntext, auch die Fotografien die Du Mama versprochen hast. Grüße alle Bekanndte herzlich, besonders Lassen und das Orchster. Herzlichen Gruß Frln. De Ahna und Dr Seidel. Lebe wohl Richard Sohn [?]

Herzliche Grüße von uns.

Dein treuer Papa.

verantwortlich für die Edition dieses Dokuments: Stefan Schenk

Quellennachweis

  • Original: Richard-Strauss-Archiv (Garmisch-Partenkirchen), Signatur: [ELTERN AN RICHARD STRAUSS 1883–1902, Nr. 71] (Autograph) (Transkriptionsgrundlage)

    • Hände:

      • Franz Strauß (handschriftlich)
    • Autopsie: 2017-07-25

Bibliographie (Auswahl)

  • Auszug in Richard Strauss / Willi Schuh (Hrsg.): Briefe an die Eltern 1882–1906, Zürich, Freiburg (Breisgau), 1954, S. 134.

Zitierempfehlung

Richard Strauss Werke. Kritische Ausgabe – Online-Plattform, richard‑strauss‑ausgabe.de/d03026 (Version 2018‑07‑09).