[Über »Macbeth«]
[…]1 Ich bitte Dich von ganzem Herzen, lieber Sohn, sei etwas zugänglicher Ansichten anderer, sachverständiger Leute, welche Deine Ansichten nicht teilen. Selbstbewußtsein lasse ich mir ja recht gerne gefallen, aber bis zur Krankhaftigkeit darf es nicht kommen. Du hast gerne Neigung zum Experimentieren, aber das darf einer, der es mit der Kunst ehrlich meint, nicht tun, er schadet der Kunst und sich. Du wirst wohl jetzt etwas die Nase rümpfen und mich mit meiner Anschauung als zurückgeblieben erachten, aber hierin irrst Du Dich, ich gehe mit der Zeit, wenn auch einen etwas gemäßigteren Schritt wie Du, ich verkenne ja gar nicht, daß die Jugend anders denkt und fühlt als das Alter, aber ein gewisses Zusammenstimmen beider Faktoren war, in dieser Beziehung, zu allen Zeiten, und wird ewig bleiben, es ist ja das rein Menschliche, über das man ungestraft nicht hinauskommt. Das Publikum, das man bilden und leiten will, muß den Führer verstehen, sonst kann er es nicht führen und läutern, höchstens konfus und irre machen. Ich will damit nicht sagen, daß [man] sich in etwas zu vergeben hat, sich herbeiläßt, mit Mikadokost dem Volke den Gaumen zu kitzeln und mit Süßigkeiten den Magen (Geschmack) [zu] verderben, aber man kann, ohne zu experimentieren, mit großen, noblen Gedanken in einfacherem Kleide, ohne den großen Instrumentalglanz, das Größte leisten, und wird dann jederzeit und von Jedermann verstanden. Alle großen Künstler haben zu allen Zeiten und in allen Künsten mit den einfachsten Mitteln das Großartigste geleistet, denke nur an die griechischen Plastiker und an die großen italienischen etc. Maler des Mittelalters. – Ich gebe Dir, zwar mit schwerem Herzen, den Rat, weil ich weiß, daß es nichts nützt, überarbeite den »Macbeth« noch einmal sorgfältig, und schmeiße den übermäßigen Wulst von Instrumentenfett hinaus, und gebe den Hörnern2 mehr Gelegenheit, das heraushören zu können, was Du eigentlich sagen willst.
1 | Auslassung in der Transkriptionsgrundlage. |
2 | Gemeint ist: Hörern. |