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Brief
Hans von Bülow an Alexander Ritter
Freitag, 30. Dezember 1887, Hamburg

relevant für die veröffentlichten Bände: III/3 Aus Italien
[173]

Mein theurer alter Freund!

– – Du wünschest mir ein gutes – Schaltjahr. Ich fürchte sehr, ich werde nicht viel »schalten« können, d. h. nicht so, daß meine Freunde und ich mir selbst dazu gratuliren können. An einer – Wirksamkeit – ich brauche sie Dir nicht zu nennen – habe ich bereits übergenug und bereue eigentlich bitter, auf so trügerische Basis meine Residenz hier etablirt zu haben, sintemal ich kein Austernliebhaber. Es ist doch eigentlich ebenso traurig wie abgeschmackt, daß ein Mensch meines Alters nach so viel [174] reichen Erfahrungen sich nochmals so stark »verheddern« kann.

Nun, da bleibt nichts übrig, als mit dem seligen Großmeister »enfin« zu sagen und die darauf folgenden Gedankenstriche praktisch auszufüllen, so gut es eben gehen will. Schwer wird’s sein, denn – ich habe hier nicht mehr soziale, d. h. collegiale Ressourcen als – in Meiningen, weniger als zur Zeit, wo Du und unser Phönix Strauß die bescheidenen Excesse bei Schunk rechtfertigen. Preise Dich glücklich, in Deinem jetzigen – wohl definitiven – Heim weniger isolirt zu sein, als ich!

Es ist mir unendlich freudlos zu Muthe – allerdings tragen wohl die mehr durch ihre Dauer als ihre Heftigkeit ermüdenden Schmerzen die Hauptschuld – deßhalb kann ich mich auch nicht entschließen, an Str[auß] über seine sinfonische Fantasie zu schreiben, bez. derer ich mit mir selbst noch nicht im Klaren bin, also mich noch in keiner Weise urtheilsfähig fühle. Im Ganzen wie auch im Einzelnen hat mir das Werk gewaltig imponirt: eine wirkliche Sympathie zu begründen, wird hoffentlich das lebendige Hören ermöglichen.

Macht mich das Alter so reacionär? Ich finde, daß der geniale Autor bis an die äußerste Grenze des tonlich Möglichen (im Gebiete der Schönheit) gegangen ist, dieselbe eigentlich ohne dringende Noth häufig überschritten hat. Ein wundervoller, beneidenswerther Fehler, diese Üppigkeit von Einfällen, dieser Reichthum von Beziehungen, allein …. nun, ich erwarte die Aufführung unter des Componisten Leitung am 23. in Berlin. Die colossalen Schwierigkeiten der Ausführung beklage ich am meisten. Es ist z. B. kein Gedanke dran, eine Aufführung mit den abgetriebenen Theaterorchestern in Hamburg oder Bremen – bei drei noch dazu relativ kurzen Proben – zu versuchen. Vielleicht gäbe der Componist eine Halbirung zu: I Rom, II Neapel – jede Stadt in zwei Stationen. – –

Ich verspüre bereits einen schweren Druck im »rechten Vorderhufe«. Ich muß mich beschränken, Dir freundschaftlichst [175] die Hand noch zu schütteln, besser, Dich zu umarmen unter innigsten Segenswünschen für Dich und die Deinigen.

In alter Anhänglichkeit.

verantwortlich für die Edition dieses Dokuments: Stefan Schenk

Quellennachweis

  • Original: Unbekannt

    • Hände:

      • unbekannt
    • Autopsie: Keine Autopsie des Originals.

Bibliographie (Auswahl)

  • Edition in Hans von Bülow / Marie von Bülow (Hrsg.): Hans von Bülow: Briefe. Höhepunkt und Ende. 1886–1894, Bd. 7 (= Hans von Bülow. Briefe und Schriften, Bd. 8), Leipzig, 1908, S. 173–175. (Transkriptionsgrundlage)

Zitierempfehlung

Richard Strauss Werke. Kritische Ausgabe – Online-Plattform, richard‑strauss‑ausgabe.de/d35890 (Version 2021‑04‑12).

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