Sie betrachten gerade die aktuelle Version 2021-04-12 dieses Dokuments.

Brief
Max Bruch an Richard Strauss
Mittwoch, 20. November 1889, Breslau

relevant für die veröffentlichten Bände: III/3 Aus Italien

[195]

Sehr geehrter Herr Strauss,

Ich habe am 19. d. M. Ihre Sinfonische Fantasie »Aus Italien«, die vorigen Winter zurückgelegt werden mußte, weil die Zeit zu Extraproben fehlte, zur Aufführung gebracht. Nach 4 langen und mühevollen Proben ging das unglaublich schwierige Werk sehr gut; nur in der I. Oboe kam einmal im III. Satz ein kleinerer Nachlässigkeitsfehler vor – sonst ging alles tadellos. Berliner Musiker, die anwesend waren, sagten, daß diese hiesige Aufführung in keiner Weise der in der Philharmonie zurückgestanden habe. Ihre metronomischen Angaben habe ich genau verglichen und mich danach gerichtet, im Einzelnen aber das tempo manchmal, nach Ihren Wünschen, modificiert. Das Comité hatte alles getan, was in seinen Kräften stand, um Ihrem Werke eine angemessene Aufführung zu sichern: es hat (trotz der sehr traurigen Verhältnisse der Gesellschaft) zwei Extra-Proben bewilligt, und einen vorzüglichen Harfenisten aus Berlin kommen lassen, da wir die hiesige Harfenistin ungenügend fanden. Es ist somit bezüglich der Darstellung des Werkes nichts versäumt worden, und wer Ihnen etwa (von hier aus) das Gegentheil sagen sollte, der würde die Unwahrheit sagen.

[196] Der I. Satz wurde nach seinem vollen Werthe geschätzt u. sehr gut aufgenommen. Der II. Satz ging fast spurlos vorüber, weil das Publicum sich offenbar den musikalischen Inhalt dieses Satzes mit der Überschrift: »In Rom’s Ruinen« nicht zusammenreimen konnte; ebensowenig lassen andererseits die vielen krachenden ff dieses Satzes die Vorstellung einer Vision aufkommen.

Der III. Satz (Strand von Sorrent) fand wieder dankbare Hörer; der letzte Satz ging leider nicht ohne laute Opposition vorüber.

Mich hat das Werk in hohem Maße interessiert – das brauche ich Ihnen kaum zu sagen. Als ehrlicher Mann will ich Ihnen aber nicht verhehlen, daß ich mich mit manchen Einzelheiten nicht befreunden kann; mündlich würde ich meine Meinung ausführlich begründen, obgleich ich nicht hoffen darf, daß Sie dem Urtheil eines älteren Künstlers, der einer anderen Richtung angehört, wie Sie, Werth beilegen1

Mit bestem Gruß,

Hochachtungsvoll der Ihrige

Max Bruch

1Dazu Randnotiz von Strauss: »Da hat er wirklich recht!«. [Anmerkung in der Transkriptionsgrundlage].
verantwortlich für die Edition dieses Dokuments: Stefan Schenk

Quellennachweis

  • Original: Unbekannt (Autograph)

    • Hände:

      • Max Bruch (handschriftlich)
    • Autopsie: Keine Autopsie des Originals.

Bibliographie (Auswahl)

  • Edition in Gabriele Strauss (Hrsg.): Lieber Collega! Richard Strauss im Briefwechsel mit zeitgenössischen Komponisten und Dirigenten, Bd. 1 (= Veröffentlichungen der Richard-Strauss-Gesellschaft, Bd. 14), Berlin, 1996, S. 195–196. (Transkriptionsgrundlage)

Zitierempfehlung

Richard Strauss Werke. Kritische Ausgabe – Online-Plattform, richard‑strauss‑ausgabe.de/d30551 (Version 2021‑04‑12).

Versionsgeschichte (Permalinks)