Hochgeehrter u. lieber Herr Strauß,
das journalistische Kesseltreiben, das mich seit Jahren von einer Überfülle an Entwürfen fernhält, hat mirs auch diesmal böse angethan. Nach München kam ich später, als ich gedacht; Ihr gütiges Schreiben u. nun den zweiten Brief habe ich natürlich erhalten u. herzlichen Dank für Ihr Gedenken!
[1v] An die Skizzierung u. Ausarbeitung der Dichtung konnte ich leider noch nicht gehen. Doch wird das so rasch wie möglich erfolgen. Ist das Szenar entworfen u. hat es Ihre Billigung, dann ist auch die Dichtung sehr rasch gemacht u. bei Ihnen. – Man theilt mir mit, dass das Berliner Schall- u. Rauch-Brettl eine Darstellung der [2r] Wildeschen »Salome« für April projectiert. Kommt Ihnen dies nicht ungelegen u. in die Quere? Die Aufführung zu verbieten, fehlt mir jedes gesetzliche Mittel, da die Autorisationsrechtsfrage in diesem Falle sehr dunkel ist.
Im übrigen: die »Salome« müsste ja ohnehin für Sie von Grund aus neu gegossen u. geformt werden, da sie so, wie sie vorliegt, [2v] zwar Weibs [?]-stimmungsvoll u. episch-malend, aber nicht dramatisch-packend u. impetuos ist. Dieses »Impetuose« muß hineinkommen. – Ein Leopard, der sich dem Publikum entgegenreckt: so denke ich mir eine Operndichtung für Sie! Sie brauchen vor allem Gelegenheit zu heißer Athem- Entwicklung. Dem werde ich natürlich Rechnung tragen.
Weiteres [ [?] auch andere Vorschläge ] [?] möglichst bald. Vielleicht findet sich gelegentlich zu dem beiliegenden Blatt eine »verflucht- perverse Musik.« In großer Ergebenheit u. mit herzlichen Grüßen Ihr
–Anton Lindner
[vertikal:] Ich glaube, das Gedicht »Leben« hat einen renitenten Rhythmus!