Brief
Richard Strauss an Hugo von Hofmannsthal
Montag, 22. Juni 1908, Garmisch-Partenkirchen

relevant für die veröffentlichten Bände: I/4 Elektra
[1r]

Lieber Herr von Hofmannsthal!

Ich brauche Elektra Seite 77 einen großen Ruhepunkt, nach dem ersten Aufschrei der Elektra: Orest.

Ich werde ein zärtlich bebendes Orchesterzwischenspiel einfügen, während Elektra den ihr wiedergeschenkten Orest betrachtet; ich kann [sie] öfters stam̅elnd die Worte: Orest, Orest, Orest dazu wiederholen lassen u. von dem weiteren passen nur die Worte: »Es rührt sich niemand! O laß deine Augen mich sehen!« in diese Stim̅ung. Könnten Sie mir da nicht ein Paar schöne Verse einfügen, bis ich dann (als Orest sie zärtlich umarmen will) in die neue[,] düsterere Stim̅ung übergehe, die mit den Worten beginnt:
Nein, du sollst mich nicht berühren etc.

[1v]

Ihre erste Verssendung dankend erhalten; sehr schön, aber etwas wenig. Bitte drücken Sie noch ein bischen [sic], es kom̅en sicher noch etwa 8 Verse für jede heraus, ich muß hier Material haben, um beliebig steigern zu können. 8, 16, 20 Verse, soviel Sie können u. alles in derselben ekstatischen Stim̅ung, im̅er sich steigernd.

Nun noch Eines; ich verstehe am Schluß im̅er noch nicht den scenischen Vorgang.

Orest ist doch im Haus; die Haustür in der Mitte ist doch geschlossen. Chÿsost. [sic] u. die Dienerinnen sind Seite 88 ins Haus links abgelaufen. Seite 91 kom̅en sie »wild herausgelaufen«.
Woraus? links oder durch die Mitte?

Seite 93[:] Chÿsostemis läuft hinaus. Wo hinaus? Durch die Hoftür rechts? Warum? Orest ist doch in der Mitte des Hauses!

[2r]

Warum läuft Chÿsostemis Seite 94 wieder herein? Warum schlägt sie am Schluß an die Tür des Hauses? Doch wohl weil sie verschlossen ist?

Bitte beantworten Sie mir recht genau diese Fragen. Das Scenarium war mir nach der Lectüre niemals ganz klar.

Ich bin nun glücklich im neuen Haus; es ist prachtvoll geworden.

Die Partitur ist fertig bis zum Eintritt des Orest. Ich habe gestern begonnen, weiter zu componiren[,] u. bin[,] glaube ich[,] dafür jetzt in sehr guter Stim̅ung.

Was macht Casanova?

Sehe ich Sie im Som̅er mal? Ich bleibe bis Mitte September hier u. dann wahrscheinlich etwas Venedig (Lido).

Mit schönstem Gruß (auch an Ihre Gattin)
Ihr
DRichardStrauss.

verantwortlich für die Edition dieses Dokuments: Adrian Kech, Sebastian Bolz

Quellennachweis

  • Original: Bayerische Staatsbibliothek (München), Signatur: Cgm 8170, Nr. 13 (Autograph) (Transkriptionsgrundlage)

    • Hände:

      • Richard Strauss (handschriftlich)
    • Autopsie: Keine Autopsie des Originals.

Bibliographie (Auswahl)

  • Edition in Richard Strauss / Hugo von Hofmannsthal / Willi Schuh (Hrsg.), Briefwechsel (= Serie Musik Piper/Schott, Bd. 8252), München und Mainz, 1990, S. 36–37.
  • Auszug in Hugo von Hofmannsthal / Mathias Mayer (Hrsg.) / Klaus E. Bohnenkamp (Hrsg.), Sämtliche Werke. Kritische Ausgabe, [Bd.] VII: Dramen 5, Frankfurt am Main, 1997, S. 435.
  • Genannt/Verzeichnet in Günter Brosche (Hrsg.) / Karl Dachs (Hrsg.): Richard Strauss: Autographen in München und Wien. Verzeichnis (= Veröffentlichungen der Richard-Strauss-Gesellschaft, Bd. 3), Tutzing, 1979, S. 74. Nr. 13.

Zitierempfehlung

Richard Strauss Werke. Kritische Ausgabe – Online-Plattform, richard‑strauss‑ausgabe.de/d20098 (Version 2021‑09‑30).

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