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Brief
Richard Strauss an Ernst von Schuch
Dienstag, 24. Oktober 1905, Berlin

relevant für die veröffentlichten Bände: I/3a Salome

[1r]

Hochverehrter lieber Freund!

Nun haben wir des Rätsels Lösung: Frau Wagner schreibt mir heute wörtlich: »Ich hatte Frau Wittich gebeten, den Monat November, welchen sie frei hatte, hieher (nach Baÿreuth) zu kom̅en, um mit ihr die Isolde auszuarbeiten; denn es liegt mir daran, diese ungeheure Aufgabe möglichst lange im Voraus mit unsern Künstlern durchzunehmen, damit sie im Verlauf der Zeit sich dessen bewußt werden, was sie hier erfuhren u. um dann auf unserer Bühne mit Freiheit unangestrengt darin aufzutreten, nachdem die Probezeit bloß für die Einzelheit u. Verfeinerung gebraucht worden war. Sie hatte zugesagt, nun muß sie mir absagen wegen des Studiums der Salome. etc. etc

Also, Frau Wagner will die Isolde, die Frau Wittich im August singen soll, schon im November mit ihr studiren: meine Salome, die vielleicht noch schwerer ist, soll Frau Wittich in einem Monat lernen u. crei[e]ren. O, warum haben Sie, lieber Freund, mir [1v] nicht gefolgt, als ich Sie bat, Anfang September mit Frau Wittich das Salomestudium zu beginnen. Bedenken Sie doch, was für mich bei einer solchen Uraufführung auf dem Spiele steht!

Nach allem, was ich nun so ersehe, scheint mir Frau Wittich ein sehr unsicherer Cantonist zu sein; die sich wohl der Verantwortung, die sie hier mit Salome auf sich hat, nicht bewußt ist. 20. Nov. will sie in Stuttgart Fidelio singen. Herr Perron hat sich seine Rolle überhaupt noch nicht angesehen u. will auch in Urlaub gehen. Ja, lieber Freund, wie soll denn das werden? Hier heißt’s doch: alle Mann an Bord. Bitte geben Sie keine Urlaube mehr u. concentriren Sie alle Kräfte der Bühne auf Salome. Sie haben h [?]ja die Partitur noch nicht gesehen u. ahnen noch gar nicht, was Ihnen da noch Alles bevorsteht.

Noch eines: ich habe Sie von den Plänen der Frau Wagner u. Frau Wittich unterrichtet, damit Sie sich vorsehen können. Nun aber wärs nicht besser: Sie ließen noch eine zweite Dame [2r] die Salome studiren, damit wir nicht allein auf die Gnade der Frau Wittich angewiesen sind?

Mahler läßt Salome von 4 Damen lernen um mir dann auf den Proben die Wahl zu lassen, welche ich für die Erstaufführung bestim̅e. Frau Wittich kann man ja ein solches Wettrennen nicht zumuten, besonders nicht in Dresden[,] wo die Primadonnen seit der Zeit der seligen Malten noch eine Macht u. einen überirdischen Glanz haben, den man ihnen in Wien u. ganz besonders hier, zu ihrem u. der Kunst Heil, glücklich abgeknöpft hat. Hier ist auch die größte Künstlerin nur Mitglied des Ensembles.

Wie gesagt, bei aller Werthschätzung der großen Künstlerschaft von Wittich, wäre es aber doch gut, wenn ein Ersatz vorhanden wäre u. die gute Wittich nicht das Gefühl hätte, daß man auf sie allein angewiesen ist.

Also bitte, wenn Frl. von Osten der Partie stim̅lich einigermassen gewachsen ist, dann lassen Sie sie sofort mit dem Studium beginnen, [2v] damit sie zur Not einspringen kann. Denn wie gesagt, länger wie 9. Dezember kann ich nicht warten; ich würde sonst Nikisch u. Mahler zu sehr vor den Kopf stoßen. Zudem muß ich am 11. Dez. nach Russland.

Bitte diese meine Briefe als ganz vertraulich zu behandeln: Sie sind nur für den liebenswürdigen Collegen u. Freund berechnet. Einer breiteren Öffentlichkeit gegenüber könnte ich mich nicht so offen u. degagiert aussprechen.

Nun geben Sie bald günstigen Bescheid u. seien Sie
herzlich gegrüßt von Ihrem aufrichtig ergebenen
Verehrer
RichardStrauss.

verantwortlich für die Edition dieses Dokuments: Claudia Heine

Quellennachweis

  • Original: Bayerische Staatsbibliothek (München), Signatur: Ana 330.I.Schuch, Ernst von, Nr. 12 (Autograph) (Transkriptionsgrundlage)

    • Hände:

      • Richard Strauss (handschriftlich)
      • unbekannt (handschriftlich)
    • Autopsie: 2017-12-22

Bibliographie (Auswahl)

  • Genannt/Verzeichnet in Hartmut Schaefer (Hrsg.): Richard Strauss: Autographen, Porträts, Bühnenbilder. Ausstellung zum 50. Todestag [Ausstellung 11. Juni – 5. August 1999]. In Zusammenarbeit mit: Richard-Strauss-Archiv, Garmisch, Theaterwissenschaftliche Sammlung, Universität zu Köln, Deutsches Theatermuseum, München (= Bayerische Staatsbibliothek, Ausstellungskataloge, Bd. 70), München, 1999, S. 168. Teiltranskription, Nennung mit falscher Signatur "Ana 330. I. Schuch, Nr. 2".
  • Edition in Gabriella Hanke Knaus (Hrsg.), Richard Strauss – Ernst von Schuch: Ein Briefwechsel (= Veröffentlichungen der Richard-Strauss-Gesellschaft, Bd. 16), Berlin, 1999, S. 73–75. Mit Fußnoten, die weitere Hinweise liefern.

Zitierempfehlung

Richard Strauss Werke. Kritische Ausgabe – Online-Plattform, richard‑strauss‑ausgabe.de/d09403 (Version 2019‑04‑12).

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