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Lieber Freund!
Für Ihre lieben Glückwünsche zu einem hoffentlich besseren Neujahr, die wir wärmstens erwiedern [sic], vielen Dank. Ich bedaure sehr, daß Sie noch immer über körperliche Beschwerden zu klagen haben u. wünsche baldige Erholung im gastlichen Hause der großen Schauspielerin, der ich mich bestens zu empfehlen bitte. Ich hatte nur einmal das Vergnügen, ihr zu begegnen bei Dr. Goebbels am Wannsee u. habe sie zuletzt im vergangenen Münchner Residenztheater als Rose Bernd bewundert.
Auch bei uns sieht es recht übel aus: meine arme Frau seit 4 Wochen sehr viel zu Bett, nach dem Rotlauf hat sich eine leichte Bronchitis eingestellt, unsre unentbehrliche Anna vor 6 Wochen dahingegangen, die Köchin 6 Wochen im Krankenhaus u. gestern nach dem Balkan abgefahren – das ganze Haus u. unsre Wohlfahrt liegt auf den treuen Schultern der unermüdlichen, prächtigen, gescheiten Alice, die sich Gott sei Dank von einer Rippenfellentzündung, die sie aus Wien mitbrachte, ganz erholt hat u. in Küche u. Keller geradezu wütet. Ohne diese Perle »gäbe es nur eines – den Revolver«!
Es ist ein furchtbares Leben: dieses Dahinvegetieren dem Kismeth entgegen – 3 Partituren: Till, Don Juan u. Tod u. Verkl. habe ich (so eine Art Wiedertaufe) für die Enkel noch mal ins Reine geschrieben (und dabei noch so manchen Druckfehler corrigiert). Eine meiner wenigen Freuden sind die Geigenstunden, die ich täglich dem lieben Christian verabreiche: er stellt sich recht gut an u. nimmt, da hier kein Schneiderhan u. Weller aufzutreiben, sehr dankbar u. willig eben mit dem vertrottelten Großpapa vorlicb. Auch ich lerne bei dieser Gelegenheit noch Manches, z. B. daß der 6/8 Takt schwerer ist als der [181] 2/4 resp. 8/16 Takt u. summe im Halbschlaf noch C-Durweisen aus Josef in Egypten (2/4) u. Preciosa (6/8)!
Im übrigen belasten mich der Kummer um unser zerstörtes deutsches Musikleben, das Ende unsrer wertvollen Opernkultur, die gerade im Juni in Dresden u. Wien in prächtigem Aufschwung (was geht da Alles verloren!) ihren schönsten Schwanengesang gesungen hat. Der letzte Seufzer war Salzburg! Am 17. August hätte der liebe Mozart mich zu sich abberufen sollen!
Jetzt bete ich täglich zum großen Namensvetter um die Erhaltung der lieben Wiener Oper u. sende Ihnen mit besten Wünschen für Ihr u. Ihrer lieben Familie Wohlergehen vom ganzen Hause die herzlichsten Grüße
als Ihr treu freundschaftlich ergebener
Dr. Richard Strauss