Lieber Freund Engel!

Ihre Briefe sind mir im̅er eine reine Freude u. ich danke Ihnen herzlich auch für den letzten! Es ist rührend, wie Sie im̅er um meine Werke besorgt sind, die nun wirklich in Dresden vortrefflich versorgt sind. Was nun Salome betrifft, so sind meine damaligen Ausführungen natürlich etwas cum grano salis zu nehmen u. besonders als Widerspruch gegen die kinobrünstige Erotik, welche bisher [1v] die meisten Salome’s schon in den ersten Scenen gemimt haben! Wie Sie den Schluß deuten wollen, überlasse ich Ihrem Empfinden – er ist wohl unergründlich, wie die Natur der Frau überhaupt u. so ganz genau weiß ich es wohl selbst nicht, sonst wäre ich wahrscheinlich kein Künstler, sondern Journalist!

Nun eine discrete Frage: kann man, ohne ihr allenfalls zu schaden, Frl. Stünzner einladen, eimal [sic] als Salome in Wien zu gastieren?

[2r] Sie wissen, das große Wiener Haus mit dem hochliegenden Orchester erfordert sehr viel Stim̅e u. Sänger, die noch in Berlin gut durchgekom̅en sind, hat man hier einfach nicht gehört.

Und Dresden ist von allen großen Theatern das best akustischste. Natürlich würde ich für Frl. Stünzner auch hier die orchestralen Retouchen anbringen, aber selbst dann? Vielleicht besprechen Sie die Frage auch mit Busch u. Fanto, die ich gleichzeitig herzlich zu grüßen bitte!

Ich bin wie im̅er Ihr treu u. dankbar
ergebener
DRichardStrauss.

[2v] Sollten sich bei der Färberin für Frau Born bei besonders steilen Stellen einige Punktierungen als wünschenswert ergeben, so lasse ich Ihnen hiefür vollkomen freie Hand!

Ein fröhliches Prosit Neujahr!