Brief
Gustav Mahler an Richard Strauss
Mittwoch, 11. Oktober 1905, Wien

relevant für die veröffentlichten Bände: I/3a Salome
[1r]

Lieber Freund!

Es ist leider traurige Wahrheit! Ja, noch mehr: die Censur hat es bereits refusirt. Bis jetzt weiß es noch Niemand; den̅ ich setze Him̅el und Hölle in Bewegung, um diese Bêtise rückgängig zu machen. Bis jetzt habe ich noch nicht eruiren kön̅en, auf welchen Einfluß dieses Verbot zurückzuführen. Dieser Brief kom̅t mir sehr gelegen! Salome ist zwar am Jubiläumstheater ganz unmöglich! – Aber mein Plan ist jetzt, diese Aufführung als möglich darzustellen, – Sie müssen mich gegebenenfalls darin unterstützen und sogar Scheinunterhandlungen führen. – Ich denke, mit dieser Pistole an der Brust, wird auch die hochweise Censur mit sich [1v] sprechen laßen. – Sie glauben gar nicht – welche Unannehmlichkeiten ich da schon habe durchmachen müssen – […]schon bei meiner Rückkunft aus Strassburg, wo ich mit Begeisterung […]von meinem Vorhaben sprach. Nur deshalb habe ich die Salome für Jän̅ereventuell Feber in Aussicht genom̅en. Ich wollte Ihnen diese Besorgniße ersparen, um Ihnen nicht die Freude an der Première zu verderben. Außerdem habe ich gehofft, und hoffe noch im̅er im̅er [sic], daß eben der Umstand[,] daß ein so katholischer Hof, wie der Dresdner die Aufführung geschehen läßt, auch hier in’s Gewicht fallen wird. – Also bitte – noch einige Zeit lang schweigen; dem Simon[s] schreiben, daß wenn Hofoper ablehnt die Aufführung am Jubiläumstheater [2r] in’s Auge gefaßt werden wird. Den Brief bitte ich mir für einige Tage noch zu laßen. Ich hoffe, daß er mir eine (ganz unverhoffte) Waffe im […]ungleichen Kampf sein wird. Und nun, lieber Strauss, – ich kan̅ nicht umhin Ihnen von dem hinreißenden Eindruck zu sprechen, den mir Ihr Werk bei der neuerlichen Lesung macht! Das ist Ihr Höhepunkt bis jetzt! Ja, ich behaupte, daß sich nichts damit vergleichen [läßt], was sogar Sie bis jetzt gemacht haben. – Sie wissen – ich mache keine Redensarten. Ihnen gegenüber noch weniger, als gegen Andere. – Aber dießmal habe ich das Bedürfniß, Ihnen das zu sagen. Da sitzt jede Note! Was ich schon lange gewußt habe: Sie sind der berufene Dramatiker! Ich gestehe, daß [2v] Sie mir durch Ihre […]Musik das »Wilde«sche Werk erst verständlich gemacht haben. Ich hoffe bei der Première in Dresden dabei zu sein [zu] kön̅en. – Laßen Sie mich ein Wort wissen, ob Sie mit meinem Feldzugsplan einverstanden sind. Mein Wort darauf, daß ich kein Mittel unversucht laßen, und nie erl[…]ahmen werde, mich für dieses unvergleichliche, durchaus originale Meisterwerk einzusetzen.

In aller Eile und herzlichst
Ihr
GustavMahler

verantwortlich für die Edition dieses Dokuments: Claudia Heine

Quellennachweis

  • Original: Richard-Strauss-Archiv (Garmisch-Partenkirchen), Signatur: [GUSTAV MAHLER, Nr. 6] (Autograph) (Transkriptionsgrundlage)

    • Hände:

      • Gustav Mahler (handschriftlich)
    • Autopsie: 2016-11-15

Bibliographie (Auswahl)

  • Edition in Richard Strauss / Gustav Mahler / Herta Blaukopf (Hrsg.), Briefwechsel: 1888-1911, Bd. Erweiterte Neuausgabe, 2. Auflage (= Piper Serie Piper; 767), München u.a., 1988, S. 105–106.
  • Faksimile in Franz Grasberger (Hrsg.) / Franz Strauss (Mitarb.) / Alice Strauss (Mitarb.): Der Strom der Töne trug mich fort: Die Welt um Richard Strauss in Briefen, Tutzing, 1967, S. 160a–160d.
  • Edition in Franz Grasberger (Hrsg.) / Franz Strauss (Mitarb.) / Alice Strauss (Mitarb.): Der Strom der Töne trug mich fort: Die Welt um Richard Strauss in Briefen, Tutzing, 1967, S. 163–164.
  • Auszug in Franz Grasberger / Franz Hadamowsky: Richard-Strauss-Ausstellung zum 100. Geburtstag.: Prunksaal der Österreichischen Nationalbibliothek und Redoutensaalräume / Wien I. Josefsplatz 1. 23. Mai bis 15. Oktober 1964, Wien, 1964, S. 240. Nr. 6.

Zitierempfehlung

Richard Strauss Werke. Kritische Ausgabe – Online-Plattform, richard‑strauss‑ausgabe.de/d04475 (Version 2019‑04‑12).

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