Geehrter Herr von Hofmannsthal!
Ihren freundlichen Brief vom 4.ten dankend erhalten! Anbei Ihre Schlußverse, die ich so viel als möglich zu erweitern bitte als Zwiegesang von Elektra u. Chrysoth. neben einander. Nichts neues, nur Wiederholungen u. Steigerungen desselben Inhaltes.
Ihre Verse bei der Erkennung des Orest durch Elektra sind wunderschön u. bereits componirt. Sie sind der geborene Librettist, in meinen Augen das größte Compliment, da ich es für viel schwerer halte[,] eine gute Operndichtung zu schreiben als ein schönes Theaterstück. Sie werden natürlich anderer Ansicht sein u. haben dabei ebenso Recht wie ich!
Was Ihre Wünsche bezügl. des Casanova betrifft, so [1v] ist es nicht ganz leicht, darauf zu erwiedern [sic]. Principiell ist natürlich nichts dagegen einzuwenden u. meinen Standpunkt, daß jeder Künstler so viel Nutzen als möglich aus seinen Werken ziehen soll, ist [?]kennen Sie ja.
Meine Bedenken, den Casanova zuerst als Lustspiel laufen zu lassen, sind künstlerischer Art insofern, als ich nicht weiß, ob es für mich gut ist, wenn eine Comödie, die so sehr auf eine Pointe zugespitzt ist wie Ihr Entwurf, vor meiner Opernpremière als Lustspiel abgenützt ist. Ich werfe in meinem Interesse vorläufig nur diese Frage auf: erwägen Sie’s bitte!
II.) Scheint mir Ihr Entwurf so rein u. so schön lyrisch, daß ich nicht weiß, ob er gesprochen die Wirkung nur annähernd machen wird, die er als Oper machen muß.
III.) Wenn Sie ihn jetzt als recitirtes Lustspiel aufführungsreif machen wollen, fürchte ich, daß Sie ihn mir dialogisch zu sehr zersplittern u. gedanklich zu [2r] sehr belasten.
IV.) halte ich den Stoff für ein gesprochenes Stück für zu mager u. dünn. Er ist der geborene Operntext. Ich fürchte also zweierlei: wenn Sie ihn jetzt ganz als Lustspiel ausarbeiten in der Art ihres: der Abenteurer u. die Sängerin, werde ich keine Oper mehr daraus machen können. Ferner wenn das Lustspiel, von Ihnen schließlich doch mit einem Auge nach der Oper schielend, nicht ganz glückt u. keinen Erfolg hat (was Gott verhüten möge), thue ich mir schwerer, es zu componiren wie jetzt.
Entschuldigen Sie, daß ich alle diese Bedenken aufwerfe, aber mir liegt an dem Stoff so viel, daß ich gerne jedes Opfer bringen will, als schließlich mit dieser Oper nicht voll u. ganz zu reussiren.
Meine Bitte geht nun vorläufig dahin: lassen wir die von Ihnen aufgeworfene Frage noch offen, bis Sie mit der Arbeit fertig sind u. entscheiden wir uns, je nach dem Eindruck, den das fertige Stück auf mich u. [2v] […]andere Kenner machen wird. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie nur vorläufig über Ihre Arbeit Stillschweigen beobachten würden u. mit Kainz etc. keinerlei Abkom̅en treffen würden, bis ich mich nicht endgültig entschieden habe. Wollen Sie mir den Gefallen thuen? Sie werden mich nicht undankbar finden!
Elektra schreitet vorwärts u. wird gut. Die Scene zwischen Elektra u. Orest ist[,] glaube ich[,] sehr gelungen: ich hoffe[,] die Première bis spätestens Ende Januar zu erzwingen.
Über Ihren Besuch im September werde ich mich sehr freuen: kom̅e übrigens auch gerne überall hin, wohin Sie mich beordern, um schon was aus Casanova zu hören.
Mit freundlichsten Grüßen Ihr
DRichardStrauss.