Brief
Richard Strauss an Pauline Strauss
Sonntag, 13. Mai 1906, Graz

relevant für die veröffentlichten Bände: I/3a Salome

HÔTEL
ELEFANT
HAUS-I.-RANGES
GRAZ

BESITZER: F. JAUTZ & W. NOWAK

Mein geliebtes P!

Nach 37stündiger Expreßfahrt doch ziemlich müde hier 11 ½ Abends angekom̅en, hat mir eine 4stündige Salomeorchesterprobe für gestern derart zugesetzt, daß ich mich nach Tisch nicht mehr auf den Beinen halten konnte. Ich schlief wie ein Mehlsack, mußte aber von 5 bis 7 Uhr noch Klavierprobe halten. Das Resultat wird gut werden: Orchester ganz brav u. durch Weigmann, den Du ja kennst, sehr tüchtig vorbereitet. Salome Frl. Korb hat eine sehr schöne, warme Stim̅e u. sehr viel Temperament, so das genre [sic] Moran-Olden, eine dicke Wienerin, nicht hübsch, aber sehr viel Schneid u. Aufopferung, alles was Wittich so fehlt. Johannes u. Herodes ebenfalls recht gut. Première total schon [sic] ausverkauft, zur II.ten Vorstellung dauch nur wenige Plätze mehr zu haben. Also soweit Alles in Ordnung. Heute ½ 11 Bühnenprobe mit Klavier, Montag u. Dienstag die letzten Orchesterproben. [Seitenwechsel] Hier ist’s im Gegensatz zu England, wo es recht rauh und unfreundlich war, der reine Som̅er; ich werde ihn aber wohl erst nach dem 16.ten etwas genießen können. Diese Salome ist höllisch anstrengend zu dirigiren; ich habe doch sonst kaltes Blut, aber diese Partitur kam auch mir an. –

Als ich hier ankam, lagen circa 30 Briefe da, mit deren Lectüre ich gestern Abend erst fertig wurde; ich hatte mir natürlich den Deinen zuerst heraus gefischt u. danke Dir herzlich. Die Nachricht vom plötzlichen Tode der Kinder des armen von Strauss hat mir auch einen Stoß versetzt: wie schnell das Unglück über Einen hereinbrechen kann. Möge ein gutes Geschick unseren geliebten Bubi vor allem Unheil bewahren. Du bist ja so brav u. sorgsam mit ihm, daß ich von einer Nachlässigkeit nichts zu befürchten brauche u. das ist doch die Hauptgefahr. Bringt er wirklich von der Schule mal eine Ansteckung heim, er hat eine gesunde Natur u. bei Deiner Pflege wird er Alles überwinden. Besser natürlich ists, wenn es gelingt, ihn vor allen Kinderkrankheiten zu bewahren. Bei der Schule darf man da nicht zu optimistisch sein. So aus ein Paar Püffen brauchst Du Dir nicht viel zu machen, das gewöhnt er bald. Nun am 1. Juni haben wir den lieben Kerl ja wieder ganz PAPIERHANDLUNG
FRANZ PLENTL SÖHNE, GRAZ, HERRENGASSE 5
BUCHDRUCKEREI [Zeichen] PRÄGEANSTALT.
[Seitenwechsel] für uns u. dann können wir weiter überlegen.

Und nun denke Dir: ich werde Dich Mittwoch den 23.ten Mai auf wenige Stunden in Berlin besuchen. Die Züge von Prag, wo ich am 22.ten dirigire, nach Essen sind derart langweilig u. umständlich, daß es das bequemste ist, ich fahre über Berlin.

Ich treffe also 12.50 Mittags am 23.ten am Anhalter Bahnhof ein, bringe dann mein Gepäck direkt nach Friedrichstrasse, wo ich Abends 11 Uhr mit [dem] Nordexpress nach Essen weiterfahre.

Ich bitte Dich, mich an der Bahn zu erwarten u. freue mich wahnsinnig, Euch wiederzusehen u. einen frohen Nachmittag mit Dir, mein geliebtes Herz, u. Deinem süßen Buben zu verbringen.

Da können wir die [?] Züge nach München besprechen u. Alles Wichtige erledigen.

Was hattest Du denn für Malheur mit Drotschke [sic]? Bitte sei auf der Straße recht vorsichtig: ich habe im̅er etwas Angst, daß [Seitenwechsel] Du mir mal überfahren wirst!

Mit dem Kinderfräulein Geduld! Was heute noch unmöglich scheint, geht nach 4 Monaten von selbst; so war’s auch mit der Steiner!

So, jetzt will ich frühstücken u. dann in die Probe!

Lebt wohl, meine Teuren[,] bleibt gesund u. gedenkt
Eures Euch innig liebenden
Richard.

Herzliche Grüße der lieben Mutter u. Rauchenbergers!

verantwortlich für die Edition dieses Dokuments: Claudia Heine

Quellennachweis

  • Original: [unbekannt] (Autograph)

    • Hände:

      • Richard Strauss (handschriftlich)
    • Autopsie: Keine Autopsie des Originals.

    • Reproduktionen:

      • Richard-Strauss-Archiv (Garmisch-Partenkirchen), Signatur: [FAMILIENBRIEFE IV, 1906–1910, Nr. 198] (Transkriptionsgrundlage)

        • Autopsie: 2017-09-12

Bibliographie (Auswahl)

  • Edition in Franz Grasberger (Hrsg.) / Franz Strauss (Mitarb.) / Alice Strauss (Mitarb.): Der Strom der Töne trug mich fort: Die Welt um Richard Strauss in Briefen, Tutzing, 1967, S. 168–169.

Zitierempfehlung

Richard Strauss Werke. Kritische Ausgabe – Online-Plattform, richard‑strauss‑ausgabe.de/d03955 (Version 2019‑05‑27).

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