Hochverehrter Freund u. lieber College!
Ist an beiliegender Notiz2 etwas Wahres? Die Nachricht aus Wien ist Quatsch: ich habe vor Kurzem erst an Mahler das Textbuch geschickt, damit er damit bei seiner Hofbehörde operiert. Es wäre doch lächerlich, wenn die Salome, die in allen deutschen Städten ganz gespielt worden ist, als Operntext nicht hoftheaterfähig wäre3. Bitte beruhigen Sie mich wegen Dresden. Diese simpelhaften Censurscherereien habe ich von der Feuersnot her schon satt.
Haben Sie die Klavierauszüge zum Vorstudium schon erhalten? Ich habe mein Möglichstes getan, daß der Verleger sie Ihnen schickt, trotzdem der Vertrag, wie ich höre, noch nicht perfekt ist.
Wie lautet Ihre definitive Besetzung? Der Stich der Partitur wird bis 1. Oktober vollendet sein.
Mit herzlichsten Grüßen
Ihr freundschaftlich ergebener
Dr Richard Strauss
1 | Der Brief stammt aus dem Jahr 1905; er nimmt Bezug auf die bevorstehende Uraufführung der Salome, op. 54 in Dresden, die am 9. Dezember 1905 stattfand. [Anmerkung in Transkriptionsgrundlage]. |
2 | Notiz nicht vorhanden. [Anmerkung in Transkriptionsgrundlage]. |
3 | In Wien gelangte Salome, op. 54 nur durch ein Gastspiel des Stadttheaters Breslau am 25. Mai 1907 (unter Julius Prüwer) zur Erstaufführung. Gustav Mahler, Direktor der K. u. K Hofoper, hatte sich um die baldige Erstaufführung an seinem Hause sehr bemüht. Am 22. September 1905 war er jedoch genötigt, Strauss das offizielle Verdikt der Zensur gegen die von ihm geplante Aufführung mitzuteilen; die nachfolgend zitierte offizielle Verlautbarung hat Mahler aber nicht an Strauss gesandt: »Nach einer an die Direktion des k. k. Hofoperntheaters gelangten Verständigung hat sich die hierortige Censurbehörde aus ›religiösen und sittlichen Gründen‹ gegen die Zulassung des Textbuches der Oper ›Salome‹ ausgesprochen und ›es ist sohin die General-Intendanz der k. k. Hoftheater nicht in der Lage, die Zustimmung zur Aufführung dieses Bühnenwerkes zu erteilen.‹ – Ich erlaube mir Sie von dieser Entscheidung in Kenntnis zu setzen, indem ich mein lebhaftes Bedauern ausspreche, bei dieser Sachlage von einer Aufführung Ihres Werkes leider absehen zu müssen.« (BW Mahler, S. 103) [Anmerkung in Transkrptionsgrundlage]. |