Brief
Richard Strauss an Romain Rolland
Mittwoch, 5. Juli 1905, Marquartstein

relevant für die veröffentlichten Bände: I/3b Salome (Weitere Fassungen)

[1r] [Richard Strauss:] Monsieur Romain Rolland
Paris
162 boulevard Montparnasse.

[1v] [Briefcouvert verso: ][Romain Rolland:] [vertikal:] 5 juillet 1905
sur la musique à programme
– 1ère lettre sur Salome et l’accentuation
française
[27 mesures musicales]

[Seitenwechsel] [Richard Strauss:]

Lieber Freund!

Herzlichen Dank für Ihren Brief! Sie mögen Recht haben mit dem Programm der »Domestica«, Sie stimmen damit auch ganz mit G. Mahler überein, der das Program̅ überhaupt vollständig verdam̅t. Aber ich habe ja dem [sic] S. Domestica I.) gar kein Programm beigegeben II). haben Sie selbst doch, glaube ich eine etwas falsche Auffassung über den Zweck eines solchen Program̅es.

Für mich ist das poëtische Programm auch nichts weiter als der Formen bildende Anlass zum Ausdruck und zur rein musikalischen Entwicklung meiner Empfindungen; nicht[,] wie Sie glauben, bloß eine musikalische Beschreibung [Seitenwechsel] gewisser Vorgänge des Lebens. Das wäre doch ganz gegen den Geist der Musik. Aber dass die Musik nicht in reine Willkür sich verliere u. ins Uferlose verschwimme, dazu braucht sie gewisser Form bestimmender Gränzen u. dieses Ufer formt ein Programm. Und mehr als ein gewisser Anhalt soll auch für den Hörer ein solch analÿtisches Program̅ nicht sein. Wen es interessirt, der benütze es. Wer wirklich Musik zu hören versteht, braucht es wahrscheinlich gar nicht.

Ihrem Rate, in Paris gar kein Program̅ beizugeben, will ich gerne folgen. Aber glauben Sie, dass das Pariser Publikum dafür reif ist, eine Sinfonie [Seitenwechsel] von ¾ Stunden Länge ohne Wegweiser anzuhören? –

Nun eine Bitte: Sie wissen, daß ich Salome von Oscar Wilde vollendet habe. Es handelt sich um Herstellung der französischen Ausgabe. Salome ist im Original von Wilde französisch verfasst u. dies Original möchte ich meiner Composition zu Grunde legen. Ich kann diese Arbeit nicht einem Übersetzer geben, sondern will das Wildesche Original wörtlich behalten, muß daher die musikalischen Phrasen dem französischen Texte anpassen. Wer kann mir, wenn dies fertig, controlliren, ob ich der französischen Sprache nicht Gewalt angetan habe? Ich schicke Ihnen beiliegend eine Probe:1 an den Verän[Seitenwechsel]derungen mögen Sie ersehen, ob ich [den] französischen Sprachaccent richtig erfasst habe.

Nun noch eine Frage: müssen im französischen beim Gesange alle unbetonten Endsilben betont werden?
Comme, princesse oder
kann man dies machen, wie man will? Einmal betonen? Einmal nicht?

Kann man statt: Com̅e la princesse (Original!) Salomé est belle ce soir!
auch setzen: Com̅e est belle ce soir, la princesse Salomé! Oder auch: Com̅e elle est belle ce soir, la pr. S.!

Im Voraus schönsten Dank u. herzliche Grüße
Ihres aufrichtig ergebenen
DrRichard Strauss.

1Dokument mit autographem Notentext, Edition: richard-strauss-ausgabe.de/d36790.

Bemerkung

Der Brieftext ist vollständig in lateinischer Schrift verfasst.

Für die Edition der im Brief erwähnten Beilage siehe: richard-strauss-ausgabe.de/d36790.

Die Originale der autograph verfassten Briefe Strauss’ an Romain Rolland und ihre Signatur(en) konnten trotz mehrfacher Rechercheanfragen in der Bibliothèque Nationale de France nicht ausgehoben werden, der Fonds Romain Rolland scheint bisher nicht vollständig inventarisiert (Stand Januar 2021). Sachdienliche Hinweise hierzu nehmen die Mitarbeiter*innen der Richard-Strauss-Ausgabe gerne entgegen.

verantwortlich für die Edition dieses Dokuments: Claudia Heine

Quellennachweis

  • Original: Bibliothèque Nationale de France (Paris), Sammlung: Fonds Romain Rolland, Signatur: [unbekannt] (Autograph)

    • Hände:

      • Richard Strauss (handschriftlich)
      • Romain Rolland (handschriftlich)
    • Autopsie: Keine Autopsie des Originals.

    • Reproduktionen:

      • Richard-Strauss-Archiv (Garmisch-Partenkirchen), Signatur: [ROMAIN ROLLAND, o. Nr.] (Transkriptionsgrundlage)

        • Autopsie: 2017-11-15

  • Original: Bibliothèque Nationale de France (Paris), Signatur: VM FONDS 25 ROL-239 [= Typoskriptabschrift in deutscher Sprache] (Typoskript)

    • Hände:

      • unbekannt (maschinenschriftlich)
    • Autopsie: Keine Autopsie des Originals.

  • Original: Bibliothèque Nationale de France (Paris), Signatur: VM FONDS 25 ROL-239 [= Typoskriptabschrift, Übersetzung in französische Sprache] (Typoskript)

    • Hände:

      • unbekannt (maschinenschriftlich)
    • Autopsie: Keine Autopsie des Originals.

Bibliographie (Auswahl)

  • Edition in Romain Rolland / Richard Strauss / Maria Hülle-Keeding (Hrsg.), Richard Strauss - Romain Rolland: Briefwechsel und Tagebuchnotizen. Einleitung von Gustave Samazeuilh (= Veröffentlichungen der Richard-Strauss-Gesellschaft München, Bd. 13), Berlin, 1994, S. 44.
  • Übersetzung in Romain Rolland / Richard Strauss / Gustave Samazeuilh (Hrsg.), Richard Strauss et Romain Rolland.: Correspondance. Fragments de Journal. Avant-propos de Gustave Samazeuilh (= Cahiers Romain Rolland, Bd. 3), Paris, 1951, S. 36.
  • Auszug in Christian Wolf, Studien zur Entstehung der Oper Salome von Richard Strauss: München, Hochschule für Musik und Theater, Diss., 2009, S. 52.

Zitierempfehlung

Richard Strauss Werke. Kritische Ausgabe – Online-Plattform, richard‑strauss‑ausgabe.de/d03858 (Version 2021‑09‑29).

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