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Brief
Richard Strauss an Franz Strauß / Josephine Strauß
Sonntag, 5. April 1903, Köln

relevant für die veröffentlichten Bände: III/3 Aus Italien

[270]

Von Paris1 zurückgekehrt, habe ich schon wieder eine anstrengende Woche hinter mir. Proben zu meinem letzten modernen Konzert, das nächsten Dienstag stattfindet, Mittwoch war »Feuersnot« zum dreizehnten Male (beim Erscheinen am Pult wurde ich – in Berlin unerhört – mit Applaus begrüßt), Donnerstag »Walküre«, Freitag früh bin ich hierher gefahren, um heute Requiem von Mozart und Neunte Symphonie zu dirigieren. Gestern zwei Proben, Generalprobe verlief famos – Chor und Orchester brillant – leider ist die Neunte gerade so das richtige Stück, um einem am Schluß einer solchen Saison den Rest zu geben. Na, ich werde auch das überstehen, bin ich doch Mittwoch früh in Berlin von der elektrischen Bahn angefahren und mit aller Gewalt in den Dreck geschmissen worden, ohne außer einigen Rippenschmerzen den geringsten Schaden zu leiden. Unkraut verdirbt eben nicht. Jetzt habe ich eben bei Neitzel2 sehr gemütlich zu Mittag gegessen, morgen früh bin ich schon wieder in Berlin. Mein Dienstag-Konzert wird enthalten: Feierlicher Marsch von (Hauptmann) Hans Schilling, unter Leitung des Komponisten, Violinkonzert von Ch. Rufer, »Waldwanderung« von Blech, »Ideale« von Liszt, und vom Bassist Knüpfer gesungen: »Lethe« von dem Münchner F. von Schirach (Leutnant a. D., Schüler von Thuille) und »Mein (neues) Thal« von Uhland, alles mit Orchester. Mittwoch habe ich dann zur Abwechslung »Tristan«, dann endlich hoffe ich etwas Ruhe zu bekommen, die Konzertreisen sind so ziemlich vorbei, und ich kann dann ein bißchen bei meiner Familie sitzen, die schon ungeduldig nach dem Oberhaupte verlangt … [271] Meine große Reise ist programmäßig verlaufen (die durchreisten Gegenden waren Steiermark, Krain, Riviera, Schweiz), das Schönste, was man sehen konnte, dazu drei Wochen das schönste Wetter, nur das Klima bei scharfem Ostwind recht ungleich, in der Sonne heiß, im Schatten und in den Häusern kalt, so daß ich schließlich in Paris mit einer richtigen Halsentzündung ankam, und anstatt die herrliche Stadt zu besehen, Zimmer hütete, gurgelte, Umschläge machte und nach Noten gepinselt wurde. Zum Konzert vor acht Tagen war ich wieder ganz am Damm und hatte in Paris großen Erfolg: am meisten wieder mit »Heldenleben«. Auch »Aus Italien« gefiel sehr, weniger – merkwürdigerweise – die Liebesszene aus »Feuersnot«, die anderwärts, in Zürich, Prag, Graz, London stürmisch da capo verlangt worden war. So sind die Publikums verschieden. Das Pariser Orchester entzückte mich wieder von neuem durch seine vollendete Technik und den Klangzauber, der besonders im dritten Satz »Aus Italien« (am Strande von Sorrent) wahre Orgien feierte. Das Lamoureux-Orchester war (ebenso wie sein liebenswürdiger Chef Chevillard) wieder reizend zu mir und besonders begeistert, als ich ihm in wohlgesetzter französischer Rede mitteilte, daß ich ihm mein nächstes Orchesterwerk widmen werde.3 Auch in der Schweiz (Zürich und Basel) war ich von Publikum und Reihe lieber Freunde (Hegar, H. Huber, Pianist Freund, Professor Bamberger) auf das herzlichste aufgenommen. In Basel mit Orchestertusch empfangen, Lorbeer und was halt sonst das Herz – nicht begehrt.

Mein Tonkünstler-Orchester hat sich auf der Reise brav gehalten, schließlich sogar recht gut eingespielt, und wenn es auch keine großen Lorbeeren geerntet hat, so hat es mir doch keine Schande gemacht und wir sind so mit einem blauen Auge davongekommen. Für nächstes Jahr liegen schon wieder viele Engagements vor, ich habe mir aber meine Einwilligung zur Direktion vorbehalten und werde dieselbe nur übernehmen, wenn es mir gelingt, das Orchester wesentlich [272] zu verbessern.4 Dazu gehören bessere Solisten, bessere Erste Bläser und bessere Instrumente – – also eine Geldfrage, von der es noch zweifelhaft ist, ob sie zu meiner Zufriedenheit zu lösen ist. Mein Freund Levin5 hat mir versprochen, einige reiche Leute in Berlin zu milden Spenden hierfür zu veranlassen, wollen sehen, ob’s gelingt.

Jetzt hoffe ich, in Berlin ein wenig für mich arbeiten zu können, was dringend not tut.

1Nach Abschluß der großen Konzerttournee hatte sich St. am 25. März 1903 von Basel aus nach Paris begeben, wo er am 29. März im Nouveau Théâtre »Aus Italien«, Liebesszene aus »Feuersnot« und »Heldenleben« dirigierte. [Anmerkung in der Transkriptionsgrundlage].
2Otto Neitzel (1852–1920), Dirigent, Komponist und Musikschriftsteller, seit 1887 Musikreferent der »Kölnischen Zeitung«. [Anmerkung in der Transkriptionsgrundlage].
3Nicht ausgeführt. [Anmerkung in der Transkriptionsgrundlage].
4St. hat die Konzerte nicht weitergeführt. [Anmerkung in der Transkriptionsgrundlage].
5Willy Levin, Freund St.s, Pfitzners und zahlreicher anderer Künstler. »Elektra« wurde ihm und seiner Gattin gewidmet. Der Kommerzienrat im »Intermezzo« trägt Levins Züge. [Anmerkung in der Transkriptionsgrundlage].
verantwortlich für die Edition dieses Dokuments: Stefan Schenk

Quellennachweis

  • Original: Unbekannt

    • Hände:

      • unbekannt
    • Autopsie: Keine Autopsie des Originals.

Bibliographie (Auswahl)

  • Edition in Richard Strauss / Willi Schuh (Hrsg.): Briefe an die Eltern 1882–1906, Zürich, Freiburg (Breisgau), 1954, S. 270–272. (Transkriptionsgrundlage)

Zitierempfehlung

Richard Strauss Werke. Kritische Ausgabe – Online-Plattform, richard‑strauss‑ausgabe.de/d03606 (Version 2021‑04‑12).