Brief
Siegfried Wagner an Richard Strauss
Montag, 9. Oktober 1893, Karlsruhe

relevant für die veröffentlichten Bände: III/7 Till Eulenspiegels lustige Streiche

Mein liebes Sträussle!

Hab vielen Dank für Deinen lieben Brief. Ich werde mich hüten, gleich nach Dir den Mazeppa zu machen. Ich kann mir vorstellen, wie Du den armen Kerl ans Pferd gebunden und blutig geschunden hast.

Ich meine, ich mache »Preludes«, »Tannhäuser-Ouverture« und »Tasso« zum Schluß. Doch genug davon: Deine Stimmung hat mich ordentlich betrübt. Wie verstehe ich, daß der liebe "Freischütz" Dein einziger tröstender Freund da sein konnte.

Ich erlebte gestern hier eine herrliche, ganz von Bayreuther Geiste getragene Tannhäuser-Aufführung. Das Orchester, die Chöre waren herrlich, die Mailhac ganz gewaltig und Henriette Mottl sehr gut.

Mottls Eheleben ist ganz reizend geworden. Heute speiste ich bei ihnen (wer hätte das je geglaubt: Mottl ein Diner gebend!).

Hast Du Neues aus München gehört? Eigentlich müßte ich mich schämen: ich schimpfe in meinen Briefen immer über den alten Isaac, und Du, so vornehm, schweigst ganz darüber.

Machst Du Hänsel und Gretel von Humperdinck?

Hoffentlich seh' ich Dich bald mal wieder. Wir Freunde sollten oft beisammen sein können. Ich fühle mich wenigstens nur wohl, wenn die Luft unseren herrlichen Bayreuther Geist atmet. Du! Ausdruck: wie wäre eine symphonische Dichtung: "Der Kaufmann von Venedig": die vier Momente: der schwermütige Antonio, das liederliche Venedig, die hinreißende Porgia und! Shylock (so sechs Fagotte, gestopfte Trompeten und Hörner und summende Bässe); das wäre was für Dich!

Doch nun leb wohl! Mein bester Ausdruck: Besuch uns mal in Bayreuth!

Sei stets der treuesten Anhänglichkeit versichert.

Dein herzlich ergebener

Siegfried Wagner

Verzeih meine Schrift! Hotel - Beleuchtung und Feder sind dran schuld!

verantwortlich für die Edition dieses Dokuments: Schenk, Stefan

Quellennachweis

  • Original: Unbekannt

    • Hände:

      • Siegfried Wagner
    • Autopsie: Keine Autopsie des Originals.

Bibliographie (Auswahl)

  • Edition in Franz Grasberger (Hrsg.) / Franz Strauss (Mitarb.) / Alice Strauss (Mitarb.): Der Strom der Töne trug mich fort: Die Welt um Richard Strauss in Briefen, Tutzing, 1967, S. 81–82. (Transkriptionsgrundlage)

Zitierempfehlung

Richard Strauss Werke. Kritische Ausgabe – Online-Plattform, richard‑strauss‑ausgabe.de/d03114 (Version 2025‑06‑04).

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