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Brief
Hans von Bülow an Richard Strauss
Montag, 1. Februar 1892, Hamburg

relevant für die veröffentlichten Bände: III/4 Macbeth

Verehrter, lieber Herr Kollege!

In Erwiderung Ihrer freundlichen Zeilen vom 30. v. M. erlaube ich mir, Ihnen zunächst meine aufrichtige Freude darüber auszusprechen, daß Sie es der Mühe wert erachten, unsere persönlichen Beziehungen aus der Meininger Zeit nicht dem sachlichen Gegensatz zu opfern, der uns seit zwei Jahren scheidet. Wie Sie wissen, habe ich das 62. Lebensjahr erreicht, stehe also, mit Mlle. Reinecke zu sprechen, dem Grabe näher als Sie der Wiege. Den recht schwer, schmerzlich, mühselig erkämpften Standpunkt meiner heutigen künstlerischen Anschauungen und Grundsätze werde ich also unverrückt behaupten. Ich vertrete heute das Spanisch‑Schöne ohne deshalb blind, taub, ungerecht gegen Ihr Schiboleth – pardon, ich erinnere mich nicht genau, wie es Ihr Freund A[lexander] R[itter] bezeichnet – sein zu wollen. Als einen Beweis dieser an mir selbst von Gegnern gerühmten »Opjecdiefethed« fassen Sie es ganz richtig auf, daß ich die Konzertagentur H[ermann] W[olff] ersucht habe, Ihnen das Wort wiederum zu verleihen zur Vertretung Ihrer Kunsttendenzen.

Übrigens macht es mir Vergnügen, Ihnen hiermit zu bekennen, daß mir die Umarbeitung Ihres »Macbeth« trotz aller Herbheiten und Materialmonstrositäten hoch imponiert hat. Ich sympathisiere – qua spezifischer Musiker – weit mehr mit diesem Opus als mit dem vorhergehenden »T[od] und V[erklärung]«: ich finde darin mehr Logik und Genialität. Kurzum – ich freue mich ausnehmend, es unter Ihrer Leitung zu hören.

Bei dieser Gelegenheit – meine Zeit ist sehr knapp (Motive incl.) in diesen nächsten 14 Tagen – meine herzliche Gratulation zu Ihrer jüngsten Dirigiertat1, die mich an meine Vorgängerschaft vor 27 Jahren2 in M[ünchen] erinnert; vermutlich war »das Wörtchen und« (damals der erste Hornpoet, Ihr Vater in M[ünchen]) das Krönendste auch in W[eimar].

Wenn Ihnen darnach zu Mute, können wir in der »Umgegend« des diesjährigen Schalttages3 über – Politik – ausführlicher plaudern. Es steht Ihnen hierfür mit denkbarster Bereitwilligkeit zu Gebote

Ihr alter aufrichtig hochschätzender Bewunderer

Hans von Bülow

1Strauss hatte am 17. Januar 1892 in Weimar den von ihm hingebungsvoll einstudierten »Tristan« dirigiert. Vgl. W. Schuh, »Tristan und Isolde« im Leben und Wirken Richard Strauss; Bayreuther Festspielbuch 1952. [Anmerkung in Transkriptionsgrundlage].
2Am 10.Juni 1865 hatte H. v. Bülow die Uraufführung des »Tristan« in München geleitet. Franz Strauss, der Vater des Komponisten, gehörte damals zu Wagners und Bülows Widersachern im Münchner Orchester. [Anmerkung in Transkriptionsgrundlage].
3Strauss dirigierte »Macbeth« am 29.Februar 1892 in einem Philharmonischen Konzert in Berlin. [Anmerkung in Transkriptionsgrundlage].
verantwortlich für die Edition dieses Dokuments: Stefan Schenk

Quellennachweis

  • Original: Richard-Strauss-Archiv (Garmisch-Partenkirchen)

    • Autopsie: Keine Autopsie des Originals.

Bibliographie (Auswahl)

  • Edition in Hans von Bülow / Richard Strauss / Willi Schuh (Hrsg.) / Franz Trenner (Hrsg.): Briefwechsel, in: Willi Schuh (Hrsg.): Richard-Strauss-Jahrbuch 1954, Bonn, 1953, S. 80–81.
  • Edition in Gabriele Strauss (Hrsg.): Lieber Collega! Richard Strauss im Briefwechsel mit zeitgenössischen Komponisten und Dirigenten, Bd. 1 (= Veröffentlichungen der Richard-Strauss-Gesellschaft, Bd. 14), Berlin, 1996, S. 92–93. (Transkriptionsgrundlage)

Zitierempfehlung

Richard Strauss Werke. Kritische Ausgabe – Online-Plattform, richard‑strauss‑ausgabe.de/d03072 (Version 2017‑03‑31).