1890.
Ich möchte Ihnen, mein lieber Freund, noch aus der Stille einige Worte zusenden, u. das Mancherlei berühren wofür sich draussen keine Ruhe findet.
Gewiss haben Sie darin recht, dass bei einer guten Organisation das Herz den Verstand schon bemeistern wird. Aber ich glaube, dass Zeit u. Kräfte erspart werden können u. in dieser Ersparniss scheint mir der eigentliche Werth der Erziehung zu liegen, welche wir uns theils selbst zu geben, theils von Anderen zu empfangen haben.
Ich glaube, dass bei der musikalischen wie dichterischen Produktion die erschaute Gestalt das Entscheidende ist. Ist diese da, so kommt es, meine ich, darauf an, sie mit möglichster Prägnanz an das Licht zu bringen. [1v] Jede Unruhe schadet dieser Deutlichkeit, u. die Unruhe ist es, dünkt mich, welche der spielende Verstand hinein bringt.
Wir haben die Vollendung der Kunst erlebt, aber gerade diese Vollendung lehrt uns Einfachheit. Wenn Sie z. B. das Verhältniss des Rheingoldes zu den drei anderen Teilen des Ringes beachten, so werden Sie erkennen mit welcher Besonnenheit die Mittel gespart sind, um mit der wachsenden Handlung u. der Verwickelung der Leidenschaften immer reicher verwendet zu werden zu können.
Es verlangen Ohr u. Gefühl, dass die Gestalt erst fest gestellt werde, u. zwar Gestalt u. Melodie ganz abseits davon, was ihnen Handlungen u. Modulationen, in welche sie verwickelt werden, anthuen.
Mir ist es in Ihrem Don Juan erschienen, als ob mehr das Gebahren Ihrer Personen Sie eingenom̅en hätte, als wie dass die [2r] Personen selbst zu Ihnen gesprochen hätten. Das nenne ich eben das Spiel der Intelligenz gegen das Gefühl.
Es ist sehr schwer über solche Dinge sich zu äussern, u. mir selbst […] erscheint Alles was ich Ihnen da sage als recht thörig, weil ungenügend. Vielleicht hilft mir ein Gleichniss; ich denke mir dass die Gestalt dem Künstler entsteht wie dem Pygmalion das Bildniss, u. dass aus der leidenschaftlichen Theilnahme an diesem Bildniss mit dem Segen der Schönheit die Bewegung wird.
Schon die Wahl Ihres Stoffes zeigt das Vorwiegen der Intelligenz. Mit dem Lenau’schen Don Juan, der aus Ueberdruss der Langeweile sich ergiebt, haben Sie gewiss nicht empfunden, aber der Vorwurf hat Sie interessirt u. es ist Ihnen eine Menge dabei eingefallen, welches Sie mit erstaunlicher Sicherheit geordnet haben[.]
[2v] Nun sage ich, folgen Sie den Verlockungen Ihrer Phantasie nicht weiter, sondern ergeben Sie sich dem, was Ihrem Herzen gefällt, sei es der Glanz der scheidenden Sonne, das Rauschen der Welle, der dem Untergang geweihte Held, oder die Wahrheit durch die jungfräuliche Unschuld. Denn gerade unsere Kunst führt uns auf die ewigen Motive zurück. u. lehrt uns sie vernehmen u. erkennen durch alle Täuschungen der Erscheinungen hindurch.
Was ich Ihnen hier sage würde ich dem einzigen Kleist, bei Gelegenheit seiner Penthesilea, die ich auch als das Erzeugniss der erhitzten Verstandesphantasie betrachte, würde ich, ach, Berlioz bei Gelegenheit jedes seiner Werke gesagt haben. Bei Letzterem ist es mir immer, als ob er halbe Eingebungen hätte, als ob sich das Bild ihm zeigen [3r] wollte, u. er durch eine eigentümliche Unruhe es sich zerstörte, u. nun Anhängsel ersänne zur Vervollständigung. Wenn wir Themen von Berlioz ein Mal vornehmen, werde ich Ihnen daran klar machen, was ich meine.
In den letzten Tagen haben wir »Schauspieler u. Sänger« gelesen, u. es freute uns innig, dass wir von selbst für unsere Abendlektüre auf den II Theil des Faust gekom̅en waren, welcher in der Schrift so wundervoll erwähnt wird.* Was uns zu dem Faust brachte, waren – die Wahlverwandtschaften! Wollte ich dieses Buch mit irgend Etwas vergleichen, so könnte ich es nur mit dem geheimnisvollen Elemente, welches darin so vorwiegt u. welches Goethe als den Urgrund aller Dinge betrachtete: Das Wasser, in seiner sanften Bewegung, [3v] u. schauerlichen Stille, in seiner Spiegelung des Lichtes, u. der Gegenstände in seiner unergründlichen Tiefe, in seiner unerforschlichen Anziehung.** Es war uns unmöglich etwas Anderes als wiederum Goethe des Abends vorzunehmen, u. so griffen wir zum Faust, um uns wie an einem Wunder daran zu laben, dass der Dichter am Schlusse seines Lebens auf Grund der furchtbar tragischen Einsicht, die ihm geworden, mit dem göttlichsten Humor die unfaßlichsten Gebilde uns vorführt. Und bei dieser Überfülle des Stoffes, diese Festigkeit der Form! Bei keinem Stücke sind mir die 5 Akte so gegenwärtig u. klar, wie bei diesem Werke. Und bei dem vielen, was man trotz guter Bekanntschaft im̅er wieder entdeckt, ist mir jetzt das Eine im ersten Akte aufgefallen: Wie die Wolke, welche den Tempel umgiebt, sich zertheilt [4r] u. ertönt, der ganze Tempel zu Klang wird u. endlich Paris erscheint, wobei man förmlich das Drama aus der Musik entstehen sieht.
Es wäre schön, sich die Deutschen zu der Bildung angelangt zu sehen, in welcher ihnen diese Dichtung in ihrer unvergleichlichen Volksthümlichkeit aufging. – Da ich das leider nicht kann, stelle ich Sie mir nun als Trost vor, wie Sie auf der einsamen Fahrt an dem schneebedeckten Gebirge vorbei in Jesus von Nazareth sich vertieften. Ein Wort aus dieser Dichtung verlässt mich nicht mehr, seitdem ich sie las: Der Heiland zu Petrus: »Du folgtest mir hierher um mich zu verläugnen, nun bleibe um mich zu bekennen«. – »Sünde wo ist dein Stachel« darf man wohl nach diesem Worte ausrufen. Und es hat etwas Erhabenes sich zu sagen, dass nachdem die Gestalt unseres Heilandes so mächtig scharf [4v] gefasst worden war, gerade aus dieser Erfassung das Bedürfniss entstand, das Göttliche dieser Erscheinung uns zu enthüllen durch die Vermittlung des Heiligen; Parsifal.
Nun aber zu Ihren Fragen, liebster Strauss. Eigentlich bin ich selbst in der Arbeit begriffen u. habe Manches noch auszudenken. Auch halte ich es nicht nur für gut, sondern für nothwendig, dass ein jeder, nachdem er die Angaben der Partitur auf das Correkteste befolgt hat, zu dem Uebrigen aus seinem Gefühl komme. Und Ihr Gefühl wird Sie gewiss im̅er Recht leiten. Ich sam̅ele zwar alle mir erreichbaren Daten von den drei authentischen Aufführungen des T. [Tannhäuser] aber sie widersprechen sich alle. So gut ich jetzt kann, hier meine Antworten:
1) Nicht die Augen schliessen. |
2) Aufstehen bei der ersten Strophe. |
3) Bei der Rede der Venus ruhig stehen. |
4) Venus reicht ihm die Harfe. |
5) Die Harfe entfällt Tannhäuser bei: »Zieh hin Wahnsinniger«. |
6) Was die Szene zwischen T. [Tannhäuser] u. E. [Elisabeth] anbetrifft, so lässt sie sich im Einzelnen nicht angeben, u. rechne ich auf Van Dyck um mich zu verstehen, u. dann Blicke u. Gebärde aus diesem Verständnis entstehen zu lassen. |
7) An Elisabeth denkt Tannhäuser nicht einen Augenblick während des Sängerkrieges! |
[5r] Über Ihren Aufenthalt in Frankfurt erhielt ich die eingehendsten Berichte, ja, über Ihren Don Juan von jedem meiner drei Kinder einen Brief. Ich weiss überall wo Sie gewesen sind u. was Sie gespielt haben u. habe mich des lebendigen Zusam̅enseins sehr gefreut. Haben Sie besonderen Dank für Ihre Durchsicht der Arbeiten meines Siegfried. Es hat ihn Ihre Theilnahme sehr gefreut u. er schreibt mir heute, dass, wenn er nach Bayreuth zu Ostern kommt, er Sie zuerst besuchen wird.
So wäre Alles gut u. schön, u. da Sie mir versichern, dass es mit Ihrer Intelligenz nicht so weit her ist, will ich mich auch hierüber beruhigen, u. das Herz will ich leben lassen, das [5v] mir im Lohengrin so warm entgegenschlug, u. ihm jene reinen Freuden wünschen, die es verdient!
C. Wagner
Grüssen Sie mir Joukowsky herzlich, u. auch Lassen, der mir in seinem Verhältnis zu Ihnen so wohl gefallen hat.
Morgen fahre ich nach Wien auf vier Tage (Hotel Imperial) dann München (bei Frau Fiedler, Arcisstraße 32) auf etwa 8 Tage.
Leid thut es mir, dass Sie Mottl nicht sahen. Er ist Ihnen sehr gut, u. diese Freundschaft macht mir Freude.
* | [Bl. 3r:] Was mir wirklich entfallen war! [Originalanmerkung]. |
** | [Bl. 3v:] Vor allem in seiner Heiligkeit. [Originalanmerkung]. |