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Brief
Richard Strauss an Josepha Strauss
Sonntag, 22. Oktober 1893, Weimar

relevant für die veröffentlichten Bände: III/7 Till Eulenspiegels lustige Streiche
[1r]

Liebe Mama!

Schönsten Dank für Deinen u. Hannas Brief! Die Zwiebel sind vom großen Zwiebelmarkt hier u. schmecken sehr gut – gebraten u. mit Fleischhaschee gefüllt! Es ist eine der wenigen Thüringer Spezialitäten!

Hier ist’s scheußlich u. ein elendes Wetter – einen Tag warm, den andern kalt, so daß man im̅er falsch angezogen ist; ich habe seit 2 Tagen ein leichtes Katärrchen, nicht schlim̅, aber im̅er fad zu all’ dem übrigen Ärger dazu!

An Possart habe ich vor einigen Tagen geschrieben, daß, da mir nichts anderes übrig bliebe, als seinen »Wünschen« nachzugeben, ich ihn nunmehr bäte, einen neuen letzten Termin zu bestimmen (vielleicht 15. Nov.), zugleich mir aber einen neuen richtigen Contract zuzuschicken, der in dem Augenblick, da dieser letzte Termin abgelaufen, auch wirklich in Kraft träte. Dieser Contract müsste aber neu vereinbart werden, [1v] da, ebenso wie seine Abmachungen nicht bindend gewesen wären, mit Überschreitung des 1. Okt., auch meine Verpflichtungen gelöst seien. Nun will ich sehen, was er davon hat – nun muß er auch einmal Farbe bekennen!

Der Don Juan war leidlich, am besten Frl. de Ahna als Elvira u. Frl. Schubert als Zerline, Frl. Fink (Donna Anna) hat zwar eine große umfangreiche Stim̅e u. dramatisches Talent, aber von Mozartschem Styl noch wenig Ahnung.

Das Orchester so so – lala!

Durch die Ersatzmusiker aus der Ritterschen Stadtkapelle (den Contract mit der Militärkapelle hat Bronsart gelöst) ist so mit den 3.ten Bläsern arges Kuddelmuddel; mit Bühnenmusik u. Blech habe ich viel Plage u. wenig Freude!

Nächsten Sonntag Lohengrin! Kann hübsch werden!

Der Kritiker von »Deutschland«: Böhler hat den Gießen verklagt, [2r] weil dieser ihn einen ehrlosen Schuft genannt hat. Gießen hofft in der Gerichtsverhandlung den Böhler ganz zu »zerschmettern«; wenn nur nicht das Gegenteil eintrifft!!!

Gestern war ich bei dem Gedankenleser Cumberland, der ganz amüsant war – nur sein 1. Experiment mit mir selber ist ihm nicht gelungen, sonst alle!

Am 6. Nov. habe ich 1. Concert und mache Learouvertüre von Berlioz u. Adur von Beethoven, Halir spielt 2 Violinconcerte, wahrscheinlich Brahms und sein eigenes.

Gestern habe ich die Mottlsche Oper durchgesehen, die mit recht gut gefällt – es ist doch einer, der Theater, Orchester u. Sänger genau kennt, – gegen die concertirenden Metzdorff’s u. die anderen Dilettanten im̅er eine Wohltat.

Ich hoffe die Oper zu machen hier – ebenso wie die von Humperdinck!

[2v] Auch Siegfried soll ich einstudiren! Du lieber Gott – der ist hier ganz unmöglich!

Sonst lese ich viel, mache Studium für neue Operntexte und suche die Langeweile breit zu schlagen, so gut es geht!

Mit Frl. Pauline, die bestens grüßen läßt, musicire ich ziemlich fleißig; sie ist sehr nett zu mir u. mit dem lieben Zeller so mein einziger Trost in dem verdam̅ten Nest!

Geht es Euch denn gut? Sorgt Euch nicht zu sehr um mich, hoffentlich bin ich bald von hier erlöst, wenn nicht – so döse ich eben langsam dem Philisterium entgegen und componire Orgelfugen und Männerquartette!

Herzlichste Glückwünsche zu Maxens Examen!

Tausend Grüße an Euch, Ihr Lieben u. alle Freunde!

R.

verantwortlich für die Edition dieses Dokuments: Schenk, Stefan

Quellennachweis

  • Original: Bayerische Staatsbibliothek (München), Signatur: Ana 330.I. Strauss, Familie, Nr. 336 (Transkriptionsgrundlage)

    • Autopsie: Keine Autopsie des Originals.

Bibliographie (Auswahl)

  • Genannt/Verzeichnet in Günter Brosche (Hrsg.) / Karl Dachs (Hrsg.): Richard Strauss: Autographen in München und Wien. Verzeichnis (= Veröffentlichungen der Richard-Strauss-Gesellschaft, Bd. 3), Tutzing, 1979, S. 173.

Zitierempfehlung

Richard Strauss Werke. Kritische Ausgabe – Online-Plattform, richard‑strauss‑ausgabe.de/d02476 (Version 2025‑06‑04).

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