Lieber Freund!

Für heute nur eine kurze Mitteilung aus der Krankenstube! Du schriebst mir s. Z., ob ich nicht Lust hätte, in Frankfurt zu kapellmeistern. Damals schrieb ich Dir nein! Unter Discretion (ich bitte, Niemanden davon Mitteilung zu machen) die Nachricht, daß es nun für mich Zeit wird, allmählich den Weimarer Traditionsstaub von meinen Füßen zu schütteln, u. an Dich, lieber Freund, die Anfrage, was Du wohl glaubst, daß für mich in Frankfurt zu holen ist; Du hast ja, glaube ich, mit Claar über die Angelegenheit gesprochen! Mit Dessoff zusam̅en hätte ich allerdings sehr wenig Lust, da mir diese Judencollegenschaften Levi, Lassen etc. allmählich zum Halse herauswachsen; ist keine Aussicht, daß Dessoff geht oder daß mir Claar allenfalls den Posten eines Operndirektors, dem Capellmeister u. [1v] Regisseure subordinirt sind, übergibt? Dann würde ich mich verpflichten, in Frankfurt eine ordentliche Oper herzurichten! Bitte, schreib mir bald ein Paar Zeilen, was Du über die Sache denkst! Aber Discretion, bitte dringend!

Ich sitze hier, mit einer gräulichen Bronchitis behaftet u. warte, bis mein Husten sich soweit gebessert hat, daß ich eine Cur in Reichenhall antreten kann. Ich fern von Bayreuth! Du Glücklicher!

Nebenbei bemerkt habe ich gestern den ersten Akt meiner Oper: Guntram fertig componirt! Alles aus Langeweile! Adieu für heute, lieber Freund! Erfreue Dich des herrlichen Bayreuth u. der wundervollen Proben u. bemitleide etwas

Deinen

Dich herzlich grüßenden

Richard Strauss.