Brief
Richard Strauss an Johanna Strauß
Samstag, 25. Oktober 1890, Weimar

relevant für die veröffentlichten Bände: III/4 Macbeth, III/6 Tod und Verklärung

[1r] Reisebeschreibung.

Liebe Hanna!

Nachdem ich also letzten Sonntag die beste Freischützvorstellung dirigirt hatte, die wir überhaupt bis jetzt, seit ich hier bin, hatten, fuhr ich Nachts 1 Uhr zu Schlafwagen (im̅er nobel) nach Darmstadt, wo mich Fritz Brandt, den Papa ja von Bayreuth aus kennt u. den wir hier als Oberregisseur der Oper gewinnen wollen, am Bahnhof 1/2 9 Uhr Früh erwartete. Bronsart hat ihm bereits einen Antrag gemacht, es hängt nur noch an der Geldfrage. Brandt hat mir außerordentlich gefallen, er ist ein ernster u. schneidiger Kerl, den wir hier gerade zum Dreinfahren brauchen könnten. Nachdem ich ihm furchtbar zugeredet hatte u. ihm unsere Verhältnisse möglichst verlockend geschildert, fuhr ich um 11 Uhr nach Carlsruhe weiter. Frau Wagner u. Mottl waren riesig entzückt, daß ich gekom̅en u. mich reut es nicht. Ich habe mich an Mottls herrlicher Direction der Elisabeth, die wirklich ein [1v] him̅lisches Werk ist, das ich im̅er lieber gewinne, so aufgefrischt; er ist wirklich der einzige Dirigent, an dessen Tempis etc. ich nie etwas anders haben möchte, wo ich im̅er mitempfinde u. ohne jede Kritik mich ganz dem vollen Eindruck hingeben kann.

Ich glaube nicht, daß man Liszt schöner, mit mehr Feuer u. Begeisterung, u. feinerem Geschmack dirigiren kann, als Mottl es getan. Ich habe Zeller ein Gastspiel in Carlsruhe als Tannhäuser ausgemacht, er wie Frl. de Ahna haben bereits die Einladungen nach Bayreuth erhalten mit dem Bemerken, daß sie für den Notfall auch hier ja für eine größere Partie (also Tannhäuser u. Elisabeth) in Aussicht genom̅en sein. Für Zeller bin ich sicher, daß er als Tannhäuser dran kom̅en wird. Außerdem habe ich Mottl u. seinem Intendanten Pack [?] mit den Ritterschen Opern zugesetzt u. bin fast überzeugt, daß Mottl sie bringen wird. Den faulen Hans [2r] hat er sich jetzt wirklich angesehen, er gefällt ihm außerordentlich. Die scenische Ausarbeitung der Elisabeth war durch Frau Wagner’s Eingreifen wunderschön, es war geradezu erstaunlich, was der Carlsruher Theaterchor an Spiel u. Bewegung geleistet hat. Frl. Mailhai’s Elisabeth war aller ersten Ranges; wundervoll gesungen, ungeheuer einfach u. ruhend in der Darstellung, vortrefflich war die Landgräfin der Frau Reuss u. der Magnat von Flank. Kurz, alles war prachtvoll; Carlsruhe steht jetzt an künstlerischen Leistungen von allen Theater obenan.

Zur Aufführung waren zugereist Rich. Pohl, Göllerich, Wolfrum, Humperdink [sic], der Münchner Fuchs u. waren wir sehr vergnügt nach der Vorstellung bei Frau Wagner eingeladen. Mittwoch 1 Uhr fuhr ich nach Frankfurt, wo ich mich 4 Stunden aufhielt, Dr Siegen, Stegl, Fleisch u. Fl. von Schehafzoff

[2v] [kopfstehend:] Die Hemden passen! Schönen Dank!

[gerade:] besuchte. Letztere fand ich in bestem Wohlsein; sie läßt Euch u. Ritters herzlich grüßen. Donnerstag Früh 1/2 3 war ich wieder hier. Was man nicht Alles in 3 Tagen machen kann!

Von einem Aufdrängen in Carlsruhe kann doch keine Rede sein; es handelt sich hier darum, zu zeigen, wer zur Gemeinde gehört u. es waren recht schneidige Lisztianer gekom̅en. Mottl war sehr geschmeichelt von meinem Kom̅en u. tut gelegentlich einen Gefallen. Zellers Gastspiel etc. Mottl hat übrigens zwei Akte einer Oper fertig!

Der Verleger Fürstner schrieb an mich u. will Lieder haben; ich habe ihm die Mädchenblumen für 800 M. angeboten; wollen sehen, ob er drauf hereinfällt. Hainauer will die Burleske drucken; wenn er 1500 M. dafür zahlt, entschließe ich mich vielleicht, sie doch herauszugeben.

Sonntag Iphigenie in Aulis.

Lebt wohl für heute! Tausend Grüße an Dich, Papa, Mama,

Ritter’s, Thuille’s.

R.

Morgen fange ich mit der Neuinstrumentirung des Macbeth an; heute wird Operntext fertig.

verantwortlich für die Edition dieses Dokuments: Stefan Schenk

Quellennachweis

  • Original: Bayerische Staatsbibliothek (München), Sammlung: Handschriften, Signatur: Ana 330, I, Strauss, Nr. 200 (Autograph) (Transkriptionsgrundlage)

    • Hände:

      • Richard Strauss (handschriftlich)
    • Autopsie: 2014-10-16

Bibliographie (Auswahl)

  • Genannt/Verzeichnet in Günter Brosche (Hrsg.) / Karl Dachs (Hrsg.): Richard Strauss: Autographen in München und Wien. Verzeichnis (= Veröffentlichungen der Richard-Strauss-Gesellschaft, Bd. 3), Tutzing, 1979, S. 160.

Zitierempfehlung

Richard Strauss Werke. Kritische Ausgabe – Online-Plattform, richard‑strauss‑ausgabe.de/d02175 (Version 2022‑11‑18).