Brief
Richard Strauss an Franz Strauß
Sonntag, 16. Februar 1890, Weimar

relevant für die veröffentlichten Bände: III/5 Don Juan

[1r]

Lieber Papa!

Heute Abend kom̅t Frau Wagner, ich freue mich riesig.

Vor einer Stunde ist Bülow abgereist, der gestern wundervoll gespielt hat, 4 Solostücke von Liszt spielt ihm heute noch keiner von den Jungen nach. Als Dirigent hat er uns die zwei Brahmsschen Ouvertüren versetzt u. in der Probe eine furchtbare Quatschrede gehalten, daß ein Musiker den andren nicht ausschließe, daß die akademische Festouvertüre ein Pendant zum Meistersingervorspiel wäre, beide enthielten ein ganzes Drama u. derartigen Kohl mehr, schließlich forderte er das ganze Orchester zu einem Hoch auf Brahms auf, in welches nicht einzustim̅en ich mir die Freiheit nahm. Im allgemeinen war B. [Bülow] hier sehr ungemütlich, hat Lassen scheußlich behandelt auf der Probe, gegen mich war er aber sehr nett. Da er auch [1v] Frau von Bronsart nicht ausstehen kann, saßen wir beständig auf Pulverfässern. Lassen war reizend u. geduldig wie ein Lam̅ u. Bülow gegen ihn (sehr mit Unrecht) äußerst eklich [sic]. –

Ich schicke Euch zwei Artikel über Don Juan, den von Hartmann zum Amusement, die Stange mit der dieser Dilettant im Nebel herumfährt, ist die größte, die mir je vorgekom̅en ist. Der anderer Kritiker der »Freien Bühne« weiß wenigstens worauf es jetzt ankäme, hat aber speciell den Don Juan auch noch nicht verstanden. Im̅erhin ist es erfreulich, daß die vielgelesene »Freie Bühne« in ihrer zweiten Num̅er so eingehende Notiz von mir nim̅t.

Freitag waren wir in Leipzig, um Gwendoline von Chabrier zu hören, hatten aber nicht viel Freude daran.

Man sah wohl, daß Chabrier viel die Wagnerschen Partituren [2r] studirt hat, aber ohne Kenntniß der deutschen Sprache, ohne welche man Wagner nur äußerlich erfassen kann. Und es ist denn eingetroffen. Ein schlechtes, uninteressantes Textbuch u. dazu die raffinirteste Musik, alles Tastenstÿl ohne Unterschied, ob er auch jedes mal paßte. Dabei musikalisch viel Talent, wundervoll orchestrirt, aber äußerlich nachgemachter Wagner.

Bitte, schickt mir doch den alten Fidelioclavierauszug (erster Ausgabe) Ritter hat ihn, sowie die Klavierauszüge alter Oratorien, die wir haben, in denen Heldentenorpartien sind: Josua, Maccabäus, Matthäuspassion, Schöpfung.

ich brauche sie für Zeller.

Hoffentlich seid Ihr wohl u. munter!

Tausend herzliche Grüße an Dich, Mama u. Hanna

Euer

R.

verantwortlich für die Edition dieses Dokuments: Stefan Schenk

Quellennachweis

  • Original: Bayerische Staatsbibliothek (München), Signatur: Ana 330 I, Strauss, Nr. 179 (Autograph)

    • Hände:

      • Richard Strauss (handschriftlich)
    • Autopsie: Keine Autopsie des Originals.

    • Reproduktionen:

      • Richard-Strauss-Archiv (Garmisch-Partenkirchen), Signatur: [RICHARD STRAUSS AN ELTERN u. SCHWESTER 1886–1893, Nr. 222] (Transkriptionsgrundlage)

        • Autopsie: 2017-07-25

Bibliographie (Auswahl)

  • Edition in Richard Strauss / Willi Schuh (Hrsg.): Briefe an die Eltern 1882–1906, Zürich, Freiburg (Breisgau), 1954, S. 130–131.
  • Genannt/Verzeichnet in Günter Brosche (Hrsg.) / Karl Dachs (Hrsg.): Richard Strauss: Autographen in München und Wien. Verzeichnis (= Veröffentlichungen der Richard-Strauss-Gesellschaft, Bd. 3), Tutzing, 1979, S. 158.

Zitierempfehlung

Richard Strauss Werke. Kritische Ausgabe – Online-Plattform, richard‑strauss‑ausgabe.de/d02116 (Version 2018‑01‑26).

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