[89] [maschinenschriftlich:]
Lieber, geehrter College!
Schimpfen Sie mich doch nicht immer »Rabbi«! Über die Bedeutung des Wortes (Begriffs) »Meister« gibt ja schon Sachsens Lehrbub und schon im Akt I die nöthige Information. Bin nicht mal Kapell-mäster wie Hermann der Urlaubling. Au contraire – habe vorvorgestern die geflügelten (von der Presse verhörten, entstellten) Worte gesprochen:
Die Hofkapellen werden vergehen (verkommen thun sie bereits), meine Herren, aber die freie Kunstgenossenschaft, von der Sie ein ideales Muster geben, wird bestehen: ihr gehört die Zukunft.
Na – bon! Und über »kommt ein schlaffer Bursch gegangen« wollen wir auch kein Mehl mehr mahlen. Amnestie!
Da ich noch allerlei zu thun habe –
10. 17. | Bremen (wozu Proben) |
13. 29. | Hamburg (dto) |
23. | Berlin 9te bis (do) |
24. | Königsberger |
so habe ich wenig zu schreiben, da ich nicht gern selbstgefällig mit dem eigenen Fett prahle, sondern davon eben zehre.
Mai – Wiesbaden | (Gesundheit) |
Juni – London | (Geschäft) |
l. Juli u. ff. gehören mir, als ob ich ein Freiherr wie [Exz.]1. Bärenfell.
Jedenfalls arrangire ich uns ein Rendezvous. Gratuliere zur italiänischen Excursion. Ist Ihnen nöthig nach der Isaratheniensischen Handwerkerei bezw. Leimsiederei. –
[90] Wollen Sie mir einen Gefallen thun? Räumen Sie einen Platz in Ihrem Album, resp. Tagebuch – beif. Programm ein – so kommt dann Ihr 17jähriger Vorgänger in Mailand auf die Nachwelt, speriamo lo.
Schade, daß Sie nicht am 7. den Don Juan gehört! Da war ein so günstiger 2 am Theaterhimmel, daß ich z. 1. M. eine wirkl. Mustervorstellung (mille pardons Excellenz) gehört habe. Reiner Pschorr, nicht die Spur von Patzenhofer. Herrje, dieses Gesöff werden Sie wohl kaum dem Namen nach kennen!
A proposito – wie gehts unserm lieben Freunde Eugen? Ist er glückl. operirt worden?
Über Geschmackssachen soll man nicht disputiren. Es wäre verfl. langweilig in der Welt wenn B. immer nur das Echo von A. wäre. Ich kann Ihnen nicht beipflichten in Ihrer Antipathie gegen 2 Soprane die um die Gunst desselben Tenor od. Bariton buhlen.
Norma u. Adalgisa haben stets und mit Recht die Gunst aller gefühlvollen Parketseelen genossen. Lesen Sie mal V. Hugo’s [»Angelo, tyran de Padoue«]3 meiner Ansicht sein bestes Kryptolibretto! (Nb: Gioconda ist darnach defigurirt worden) daß Ines keine ebenbürtige Rivalin der Selika, ist nicht des Componisten Schuld, sondern der pp. Regie und Kapellmeister.
Sehen Sie sich doch die Afrikanerin complett an; meiner Ansicht nach wird das Beste herausgestrichen, z. B. die hochdramatischen genialen Vorgänge des dritten Akts. Ebenso könnte aus Eudoxia in der Jüdin durch Nichtsprünge eine höchstbedeutsame dramatice [91] figura geschaffen werden u. s. w. Na – bekehren will ich Niemanden zu meinen Ansichten, auch meine Freunde nicht. Grenzenloser Egoismus pflegt das Hauptmobil solcher Überredungsversuche zumeist zu sein.
Doch »Schluß« heißts beim Telephon – herzliche Grüße an Ludwigstr. 17 auch seitens meiner Frau, beste Wohlwünsche nach allen Richtungen!
Ihr in freundschaftlicher
Hochschätzung treu ergebener
HansvBülow.
1 | Korrigiert gemäß Jahrbuch. |
2 | Notenbeispiel ergänzt gemäß Jahrbuch: "Lied an den Abendstern" aus Wagners Tannhäuser. |
3 | Korrigiert gemäß Jahrbuch. |