Sylvester.
Lieber Papa!
Also alle tausend schönen Wünsche für’s neue Jahr, wie’s am 31. Jan. eben üblich ist, als ob man seinen Lieben nicht das ganze Jahr über alles Gute wünschte. Momentan wünsche ich Euch (und mir) Befreiung von allen Katarrhs u. Influenza’s, welch’ letztere mich selbst seit 10 Tagen in höchst lästiger Weise gefangen hält. Ich habe starken Husten (rauche in Folgen dessen gar nicht), plötzlich Fieber, dann bin ich wieder einen Tag ganz gesund, es ist eine zu närrische, dum̅e Krankheit. Der Arzt hat mir das Ausgehen erlaubt. Schlim̅ ist’s nicht, nur fade; ich hoffe jedoch, daß die Geschichte ihrem Ende zuneigt. – Heute bin ich bei Bronsart eingeladen u. darnach bei Fl. von Schorn, [1v] Donnerstag habe ich Lohengrin, Samstag Figaro, Sonntag Waffenschmied, also zu tun in Hülle u. Fülle.
In Deinem letzten Briefe, lieber Papa, in dem Dein ganzes trauriges Geschick über das große Unglück in Breslau, von dem Thuille sehr unnötiger Weise geplaudert hat, herausleuchtete, – Bruch hat mir selbst in einem sehr originellen Briefe, in dem er mir 4 Seiten lang versicherte, daß von seiner Seite aus Alles geschehen dem überaus schwierigen Werke eine angemessene Aufführung zu liefern (wird erst darnach gewesen sein!), die Mitteilung gemacht, daß I. u. III. Satz gefallen hätten, zweiter spurlos vorüber gegangen u. Finale auf Opposition gestoßen wäre etc. Ich beantwortete das Judengewäsch sehr kurz mit dem Bedauern, daß [2r] das Werk ihm die »viele Mühe« nicht besser belohnt habe, in seinem Interesse (das war ja infam von mir, aber mir ist es wirklich wurst, ob ein altes Werk von mir, für das ich mich kaum mehr interessire, in Breslau gefällt oder nicht[)], u. meinte, ein mit Liszt, Berlioz u. Wagner innig vertrautes Publicum würde wohl kaum in meinen letzten Satze sehr viel überraschendes finden.«2 Darauf ist er nun wieder in einem 12 Seiten langen Briefe wiederum eingeschnappt, der sehr komisch ist u. den ich Euch gelegentlich schicken werde.
Warum soll ich denn meinen Macbeth nicht drucken lassen, u. warum, wenn Spitzweg kein Lust dazu hat, nicht bei Peters? Macbeth gehört zu Don Juan in meiner Entwicklung, wer sich für die interessirt, für den wird er gedruckt, die anderen können mir einfach gestohlen werden. »Die Feinde« [2v] werden sich verflucht wenig um Macbeth küm̅ern, wofür auch vieles gut ist, da derlei komplizirte Partitur nicht alle Professoren der Hochschulen etc. lesen können. Also, lieber Papa, darüber würde ich mir wirklich keine grauen Haare mehr – ausgehen lassen; von einem Außerachtlassen der Dankbarkeit für Spitzweg kann hier keine Rede sein, da ihm im̅er noch die Möglichkeit offen steht, Macbeth zu drucken, ich gebe ihm Tod u. Verklärung nicht her, bevor Macbeth erschienen ist. Um die diesbezüglichen Marotten eines mit so empfindlichen Ohren behafteten Bülow kann ich mich doch wahrlich nicht mehr küm̅ern.
Bum! Also herzliche Prosit Neujahr u. tausend Grüße u. Genesungswünsche an Dich, Mama u. Hanna
Euer
getreuer
Richard.
1 | Hier und im Brieftext von Strauss falsch datiert, gemeint ist: 31.12.1889. |
2 | Ungeachtet des schließenden Anführungszeichens (ein öffnendes fehlt) handelt es sich hier um eine Paraphrase, siehe den Brief von Max Bruch vom 10.12.1889 (d02091). |