Brief
Richard Strauss an Franz Strauß
Freitag, 15. November 1889, Weimar

relevant für die veröffentlichten Bände: III/5 Don Juan
[1r]

Lieber Papa!

Ich bin momentan so mit Arbeit überhäuft, daß ich erst heute dazu kom̅e, Euch etwas ausführlicher zu schreiben.

Deinen lieben Brief habe ich soeben erhalten, herzlichen Dank. Ich habe täglich zu Josef Egÿpten Proben, der nächsten Donnerstag sein soll.

Heute die große Neuigkeit: (Officiell weiß ich noch nichts, nur der Pianist Dayas hat es mir mitgeteilt): ich sei zum Vorstand des Leipziger Lisztvereins u. zum Dirigenten der dortigen Concerte als Nachfolger Nikisch’s gewählt worden, man beabsichtige die hiesige Hofkapelle zu den dortigen Concerten beizuziehen; wenn es sich alles bewahrheitet, ist es kolossal. Bitte, alles Ritter mitzuteilen, dem ich erst nächste Woche, ebenso Thuille, schreiben werde können. Was soll ich über Don Juan noch schreiben, Ihr hättet ihn hören [1v] müssen, ich selbst konnte den (nach Aussage aller) zauberhaften Klang nicht so recht von meinem Pulte aus beurteilen, doch so viel ist sicher, daß ich mich in der Berechnung der Effekte in der Orchesterbehandlung nirgends getäuscht habe. Das Blech ist sehr schwer u. anstrengend, klang aber nirgends brutal, sondern durch die 3 Trompeten u. die polÿphone Behandlung viel milder als in früheren Sachen. Wundervoll klang das Oboensolo mit den 4fach geteilten Contrabäßen mit Sordinen, die Hörner mit Sordinen, ebenso das glühende Mittelthema in Hdur. Merkwürdig ist mir im̅er noch der durchschlagende Erfolg beim gesamten Publikum, so einstimmig habe ich ihn noch bei keinem Werke von mir erlebt. Auch das Orchester war, nachdem es sich von seinem ersten Schrecken erholt hatte, sehr entzückt von dem Werke.

Spitzweg druckt das Stück u. wird wahrscheinlich 7 bis 800 M. [2r] dafür zahlen.

Bülows Concert (Mittwoch) war großartig, er ist doch der erste aller Klavierspieler; diese Verklärtheit im Spiel, diese Phrasierung u. der Vortrag der einfachsten Melodie ist einfach unübertroffen. Er spielte Hummel, 3 Beethoven, Mozart, Raff u. Liszt (den letzteren so, daß alle die modernen Lisztianer noch vor ihm zusam̅enpacken können.)

Persönlich war er reizend u. hat sich riesig über meinen Don Juanerfolg gefreut. Tod u. Verklärung mußte ich ihm vorspielen u. war er sehr entzückt davon, besonders (leider) von dem Wohlklang drin, da er nun doch (wie er sagte) zu alt sei, um ihn entbehren zu können. In Berlin werde ich Don Juan wahrscheinlich am 13. Februar dirigiren.

In der zweiten Hälfte des Winters wird er [Bülow] hier im Orchesterconcert Liszt’s Esdurconcert spielen. Er sagte, es reize ihn, [2v] dieses von den Lisztschülern neueren Datums so sehr verunstaltete Concert endlich einmal den Leuten vorzuspielen, wie Liszt es sich gedacht habe. Sonst ist aber von Liszt mit ihm nicht zu reden, selbst Rösch hat durch eine dum̅e Klatscherei von Stavenhagen (ein Gespräch Röschs mit Stavenhagen, denhier Brahms u. Liszt betreffend) schon einen kleinen Schiffbruch bei B. [Bülow] gelitten, es ist aber, glaube ich, nicht so schlim̅, trotzdem es Rösch sehr unangenehm war. –

Die Pastoralsinfonie ging sehr schön, Bronsart etwas zu bülowisch, wie er mir privatim sagte. Er ist wirklich reizend zu mir u. redet mir sonst nicht drein. Nur mit meiner ausgesprochenen Bayreuthverehrung habe ich noch kein rechtes Glück. Br. [Bronsart] ist persönlich gegen Frau Wagner etwas echauffirt; mit Frau Merian bin ich sehr vorsichtig, des könntet Ihr versichert sein, sie ist leider eine Num̅er, mit der man hier rechnen muß, sie ist wenigstens sehr begeistert von mir u. ich werde allmählich auch schlau u. schläuer u. verliere besonders mein Ziel keinen Augenblick aus den Augen. Für heute adieu. Tausend Grüße an Dich, lieber Papa (wann ist denn Dein Concert?), Mama, Hanna, Ritters, Thuille’s etc. etc.

Euer R.

[2r] [kopfstehend:] Dieser Karl Perfall ist ein Neffe unseres genialen Intendanten.

verantwortlich für die Edition dieses Dokuments: Stefan Schenk

Quellennachweis

  • Original: Richard-Strauss-Archiv (Garmisch-Partenkirchen), Signatur: [RICHARD STRAUSS AN ELTERN u. SCHWESTER 1886–1893, Nr. 205] (Autograph)

    • Hände:

      • Richard Strauss (handschriftlich)
    • Autopsie: Keine Autopsie des Originals.

    • Reproduktionen:

      • Bayerische Staatsbibliothek (München), Signatur: Ana 330, I, Strauss, 160a (Transkriptionsgrundlage)

        • Autopsie: 2017-10-23

Bibliographie (Auswahl)

  • Edition in Richard Strauss / Willi Schuh (Hrsg.): Briefe an die Eltern 1882–1906, Zürich, Freiburg (Breisgau), 1954, S. 121–123.

Zitierempfehlung

Richard Strauss Werke. Kritische Ausgabe – Online-Plattform, richard‑strauss‑ausgabe.de/d01958 (Version 2018‑07‑09).