Lieber Onkel!
Herzlichen Dank für Deinen lieben Brief u. die freundlichen Bemühungen um meine Bläserserenade, die Du wohl bereits erhalten haben wirst. Nänie hast Du schon bezahlt!
Die Aufführung meiner Fantasie: aus Italien hat großen Rumor hier vorgerufen. Das sehr complicirte Werk ist natürlich von den Meisten absolut nicht verstanden worden, um so mehr, als es fast vollständig von der herköm̅lichen Sinfonie- d.h. Sonatenform abweicht, das war allen, selbst den meisten Musikern zu hoch. Daher allgemeine Verblüffung und Wuth darüber, daß ich nun auch meine eigenen Wege zu gehen anfange, mir eigne Formen schaffe und den faulen Menschen Kopfzerbrechen verursache; die ersten 3 Sätze fanden noch leidlichen Beifall, nach dem letzten: Neapolitanisches [1v] Volksleben, der allerdings etwas arg toll ist (in Neapel geht’s aber auch bunt her) ging neben lebhaftem Beifall auch ordentliches Zischen los, das mir natürlich großen Spaß machte. Die einen beklagten die Verirrung u. schüttelten den Kopf, das waren noch die bessern, die andern meinten, ich sei auf dem Wege zum Verrücktwerden begriffen, nun ich tröste mich, bin mir des Weges, den ich machen will, genau bewußt, es ist noch keiner ein großer Künstler geworden, der nicht von Tausenden seiner Mitmenschen für verrückt gehalten worden ist. Die Kritiken werden Dich amüsiren! Onkel Knözinger straft mich mit fürchterlichem Schweigen! Es ist ein Glück, das [sic] ich nichts zu erben hoffe von ihm! Pschorrs waren entzückt, sonst gab’s auch noch einige Enthusiasten: Levi, Ritter Kapellmeister Meÿer, die waren dafür ganz weg, die waren aber auch die einzigen, die das Werk bereits [2r] genauer kannten. Schade, daß Du nicht da warst! Sonntag fahre ich nach Köln, um der allerersten Aufführung meines »Wanderers Sturmlied« beizuwohnen, respective sie selbst zu dirigiren. Von dem Frankfurter u. Hamburger Erfolg meiner Sinfonie hast Du wohl gelesen, die 10 Tage in Hamburg bei Bülow waren herrlich! Bülow wird Anfang April 14 Tage hier sein! Vorige Woche wurde meine Sinfonie in Berlin bereits zum 2.ten Male aufgeführt, diesmal unter Klindworth. Im Gewandhause kommt sie ziemlich sicher im nächsten Winter. Bei Aibl u. bei Böhme in Hamburg erscheinen jetzt Lieder von mir, gegenwärtig componire ich zum Macbeth: eine Art sinfonische Dichtung, jedoch nicht »auf Liszt«. Nun adieu! Herzliche Grüße an Dich, die liebe Tante u. Kinder
von Deinem getreuen
Richard.