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Brief
Richard Strauss an Hans von Bülow
Mittwoch, 23. Juni 1886, München

relevant für die veröffentlichten Bände: III/3 Aus Italien

[38]

Hochverehrtester Meister!

Soeben erfahre ich aus Ihrem letzten Briefe an Spitzweg Ihre Adresse und erlaube mir, da Sie jederzeit so liebenswürdig waren, Briefe von mir freundlich aufnehmen zu wollen, Ihnen Nachricht zu geben, was ich die letzten zwei Monate getrieben. Über die »letzten Tage von – Meiningen« wird Ihnen wohl Freund Ritter berichtet haben; nach achttägigem Aufenthalt in München, wobei ich meinen hiesigen Contract unterzeichnete, begann ich meine große Romfahrt, bei welcher mich die Italiener zwar nicht so zerzausten, wie sie einstens die deutschen Könige zurichteten – doch immerhin rupften und bestahlen sie mich derart, dass ich fast wie ein Handwerksbursch (Wäschezettel: das Hemde pp.) heimkam. Mit Ausnahme meiner Barschaft, die man mir auf »ehrlichem Wege« (Hotelrechnungen pp.) abnahm, und meiner Kleider wurde mir so ziemlich alles übrige gestohlen, eine lederne Handtasche mit Inhalt aus der Droschke heraus, in Neapel; Wäsche in Rom, zweimal von der Wäscherin selbst, Baedeker im Theater pp. Nun, Sie kennen ja das gelobte Land und können sich schon denken: So ein bummliger Deutscher wie ich, im Besitze von keinem Wort italienisch und sehr wenig französisch, allein und zum ersten Mal in Italien, ganz geblendet von der herrlichen Natur und Kunst; das ist der richtige Bissen für die Italiener, die jedem Juden Concurrenz machen. Gott sei Dank, waren die Eindrücke, die ich von den großartigen Kunstschätzen und Naturschönheiten Rom’s und Neapel’s empfing, so kolossal, daß man alles übrige vergass und verschmerzte. Auf das Volk bekam ich schliesslich einen ganzen Hass, natürlich nur auf das Volk, mit dem derenen [sic] Fremde in Berührung kommt. Auch danke ich für alle diese »malerischen Genüsse«, bei denen man sich die Nase zuhalten muss, s. Neapel! Trotz aller Naturpracht und trotz des herrlichen Museums bekam ich schliesslich [39] Neapel satt, welches mir wie eine wunderbare Coulisse vorkam, in der sich ein schlechtes Stück abspielt. Eine Vesuvbesteigung per Drahtseilbahn war höchst amüsant, eine stürmische, 8 stündige Kahnfahrt von Amalfi bis Capri sehr abenteuerlich, in Capri, Sorrent, Pompeji verlebte ich unvergessliche Stunden, am Ende zog es mich doch wieder nach Rom zurück, welches für mich der Glanzpunkt Italiens ist. Nächst dem Vatican übten die herrliche, melancholische Campagna, das Sabiner- und Albanergebirge und die wunderbar stimmungsvollen Ruinen des alten Rom auf mich die unwiderstehlichste Anziehungskraft aus. In Rom machte ich die äußerst interessante Bekanntschaft Lenbachs, in Florenz die des liebenswürdigen Mr. Hatton, Buonamici war leider nach London abgereist. Schon sehr Bilder- und Statuenmüde verlegte ich mich in Florenz fast nur auf’s Naturkneipen; da ich Venedig, der zunehmenden Cholera wegen, aufgeben musste, reiste ich über den Gotthard heim u. verlebte noch herrliche Tage am Comosee. (wo ich natürlich Villa Carlotta besuchte), Vierwaldstättersee und Rigi. Als ich wieder zu Hause an meinem Schreibtisch sass, war ich doch wieder sehr vergnügt, der anhaltendste und nie ermüdende Genuss ist doch die Arbeit, der ich mich vollständig ergeben habe. Nach Erledigung der Correcturbogen meines »Wanderers Sturmlied« u. Clavierquartett (beide Partituren werde ich mir erlauben, Ihnen sofort nach dem Erscheinen zu übersenden) habe ich eine, in Italien entworfene 5 sätzige »sinfonische Fantasie« für Orchester begonnen, deren erster Satz bereits seiner Vollendung entgegensieht. Ich habe nie so recht an eine Anregung durch Naturschönheit geglaubt, in den römischen Ruinen bin ich eines Besseren belehrt worden, da kommen die Gedanken nur so angeflogen! Vielleicht interessiert es Sie, dass ich mich auf einer Fahrt auf der Viaappia an einem herrlichen Nachmittag plötzlich ertappte, dass ich fortwährend, ganz unbewusst das Ddurtrio des Scherzos der 7. Sinfonie vor mich hinsumme, es entsprach so ganz der Stimmung dieser wunderbaren Campagna. –

[40] Sie, hochverehrter Meister, werden sich wohl jetzt recht gut von den Strapazen des Winters und besonders Frühjahrs erholen; hatten Sie in Frankfurt einen oder zwei Schüler, die Ihnen Freude machten? Ich wollte nach Frankfurt nicht schreiben, da ich weiß, wie angestrengt Sie dort sind. Der Aufenthalt hier ist gegenwärtig sehr unerfreulich, über die traurigen Ereignisse werden Ihnen wohl die Zeitungen ausführlich berichtet haben. –

Meine hiesige Stellung beginnt mit 12. August u. werde ich zunächst Wasserträger, Templer u. Jüdin, u. Johann von Paris ris neu einstudiren; das Studium der beiden Partituren ein sehr zweifelhafter Genuß!

Zum Schluss habe ich noch einen Auftrag zu erledigen; die musikalische Akademie beabsichtigt, Sie, hochverehrtester Meister, einzuladen, im nächsten Winter eines ihrer Concerte zu dirigiren, eventuell auch darin zu spielen. Levi bat mich speciell, bei Ihnen (so unter der Hand) anzufragen; sollten Sie nicht abgeneigt sein, so wird er Sie sofort officiell einladen, die Aufstellung des Programms wäre vollständig Ihnen überlassen. Wie glücklich ich wäre, wenn Sie geneigt wären, die Einladung, wenn Sie erfolgt, anzunehmen, können Sie sich denken! Das wäre einmal wieder für mich u. Münchens Musiker ein Festtag! Ich habe sogar bereits Programmluftschlösser gebaut: 2. Sinfonie von Brahms, Concert von Tschaikowski pp.

Verzeihen Sie meine Freiheit! Dürften wir hoffen, Sie im nächsten Winter hier zu sehen?

Indem ich Sie bitte, beiliegende Fotografie gütig aufzunehmen, verbleibe ich mit herzlichen Grüssen an Sie und Ihre hochverehrte Frau Gemahlin

in vorzüglichster Hochachtung

Ihr stets dankbarer

Richard Strauss.

verantwortlich für die Edition dieses Dokuments: Stefan Schenk

Quellennachweis

  • Original: Österreichische Nationalbibliothek (Wien), Signatur: F 50 IMBA 38 (Typoskript) (Transkriptionsgrundlage)

    • Hände:

      • unbekannt (maschinenschriftlich)
    • Autopsie: Keine Autopsie des Originals.

Bibliographie (Auswahl)

  • Edition in Gabriele Strauss (Hrsg.): Lieber Collega! Richard Strauss im Briefwechsel mit zeitgenössischen Komponisten und Dirigenten, Bd. 1 (= Veröffentlichungen der Richard-Strauss-Gesellschaft, Bd. 14), Berlin, 1996, S. 37–39.
  • Genannt/Verzeichnet in Hartmut Schaefer (Hrsg.): Richard Strauss: Autographen, Porträts, Bühnenbilder. Ausstellung zum 50. Todestag [Ausstellung 11. Juni – 5. August 1999]. In Zusammenarbeit mit: Richard-Strauss-Archiv, Garmisch, Theaterwissenschaftliche Sammlung, Universität zu Köln, Deutsches Theatermuseum, München (= Bayerische Staatsbibliothek, Ausstellungskataloge, Bd. 70), München, 1999, S. 128.

Zitierempfehlung

Richard Strauss Werke. Kritische Ausgabe – Online-Plattform, richard‑strauss‑ausgabe.de/d01770 (Version 2021‑04‑12).

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