Brief
Richard Strauss an Franz Strauß / Josephine Strauß
Mittwoch, 5. Mai 1886, Capri

relevant für die veröffentlichten Bände: III/3 Aus Italien

[1r]

Lieber Papa!

Gestern Abend nach 8stündiger, höchst abenteuerlicher Fahrt in einem Boot (bei sehr bewegter See) von Amalfi aus hier in dem himmlischen Capri angekommen, schwelgen wir bei wundervollem Wetter in den herrlichen Naturschönheiten, die diese großartige Insel bietet. Wir waren vorgestern (Heisa! Bei Regen und Wind) von Sorrent über Castellanum, Pompei nach Salerno gefahren, hatten dort übernachtet u. waren am nächsten Morgen, nachdem es endlich schön geworden, den herrlichen Weg von Salerno nach Amalfi gefahren, hatten in letzterem das berühmte Kapuzinerkloster besucht, u. [1v] schaukelten um 1 Uhr Mittag mit 4 Schiffern u. fürchterlichem Gegenwind von Amalfi ab. In den ersten 3 Stunden (bei ruhigem Wetter fährt man in 5 Stunden, wir brauchten 8) gings sehr langsam u. fürchtete ich bei dem schrecklichen Sturm seekrank zu werden, auch streikten die Schiffer u. wollten umkehren oder uns an einem einsamen (dem einzigen Landungsorte) Haus aussetzen, wo wir dann übers Gebirge nach Sorrent hätten gehen müssen. Auch kam ein Gewitter etc., es wurde sehr ungemütlich u. trotzdem wir durch Energie die Schiffer (die offenbar im Einverständnis mit dem Wirth in Amalfi uns wieder dahin zurückbringen wollten) zum Weiterfahren bewogen, glaubten wir doch kaum noch nach Capri zu kommen. Da plötzlich dreht sich der Wind[,] die Schiffer werden lustig, spannen Segel auf u. eine halbe Stunde gings sehr flott dahin, da [2r] legte sich der Wind ganz, es wurde wieder zum Ruder gegriffen u. ging es ausgezeichnet bis zum Vorgebirge, von wo aus [?] man Capri sieht. Von da an kamen die großen Meerwellen, zwei Stock hoch, bergauf u. bergab, es ging wundervoll[,] dazu wundervoller Sonnenuntergang mit fernem Gewitter, vor uns das schwarze Capri mit seinen kolossalen Zacken u. Felsen, es war kolossal; bei stockfinsterer Nacht kamen wir in Capri an, das Meer brauste um die Felsen, das Meer blitzte[,] trotzdem kein Mondschein ist, wie elektrisch unter den Rudern, kurzum diese herrliche Fahrt wird eine meiner schönsten Erinnerungen [?] bilden, trotzdem mir über nahezu drei Stunden ziemlich schwül zu Muthe war, wenn ich auch nicht seekrank wurde.

[2v] Heute nun herrliches Wetter. Heute Früh waren wir in Capri u. Punta Tragara (wir wohnen am Meer in Marina unten), gehen Nachmittag nach Anacapri u. besteigen den höchsten Punkt Monte [Solaro] u. fahren wahrscheinlich Morgen Nachmittag per Dampfschiff nach Neapel zurück. Morgen früh blaue u. grüne Grotte. – Euch geht es hoffentlich gut, mir ausgezeichnet, dem Geldbeutel sehr anständig. Da wir zu drei fahren, kostet die Partie sehr wenig (von verhältnismäßig natürlich). Ich werde wahrscheinlich in 6 Tagen nach Rom zurückkehren.

Adieu! Herzliche Grüße an Dich, die liebe Mama, Hanna, Pschorrs, Verwandte, Freunde, Levi etc.

von

R.

verantwortlich für die Edition dieses Dokuments: Stefan Schenk

Quellennachweis

  • Original: Unbekannt (Autograph)

    • Hände:

      • Richard Strauss (handschriftlich)
    • Autopsie: Keine Autopsie des Originals.

    • Reproduktionen:

      • Bayerische Staatsbibliothek (München), Signatur: Ana 330.I. Strauss, Familie, Nr. 95a (Transkriptionsgrundlage)

    Bibliographie (Auswahl)

    • Edition in Richard Strauss / Willi Schuh (Hrsg.): Briefe an die Eltern 1882–1906, Zürich, Freiburg (Breisgau), 1954, S. 95–96.

    Zitierempfehlung

    Richard Strauss Werke. Kritische Ausgabe – Online-Plattform, richard‑strauss‑ausgabe.de/d01752 (Version 2023‑06‑15).