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Mein liebes, süßes Kind!

Deinen reizenden Brief habe ich zu meinem Bedauern erst am Abend vor meiner Abreise von Rom erhalten; so sehr mich Deine liebenswürdigen Zeilen erfreut haben, so hat mich doch die Nachricht von der Auflösung Deines Engagements nach Straßburg, wohin Du Dich, mein süßer Schatz, so gefreut hattest, auf’s höchste betrübt. –

Dir in dieser Angelegenheit einen Rat zu geben, ist für mich sehr schwer, da ich mit den allgemeinen Theaterverhältnissen gar nicht vertraut bin; die Hauptsache wäre jedenfalls, zu erfahren, wann Du eventuell Deinen Contract mit Meiningen erneuern mußt. Sollte sich wirklich, wie Du mir schreibst, jetzt ein gutes Opern[1v]engagement (woran ich übrigens zweifle) nicht mehr abschließen lassen, so würde mein Rath dahin gehen, Deinen Contract nach Meiningen-Amerika auf ein Jahr (wenn es geht) zu erneuern, unter dessen jetzt recht fleißig Gesangstudien machen u. Repertoir bereichern u. mich dann nächstes Frühjahr um ein hübsches Engagement an einer Oper umzusehen. Jedenfalls würde ich mich aber jetzt (vor Juli) noch recht genau erkundigen, ob nichts mehr zu bekommen ist (Danzig, Magdeburg, Dessau, Weimar?, Königsberg, Mainz!!, sind leidlich gute Opern), durch wen hast Du damals das Straßburger Engagement erhalten?

Wenn ich Dir irgend dienlich sein kann, mit größtem Vergnügen, Du brauchst es nur zu sagen, bis 9. Mai [2r] trifft mich ein Brief in Rom, Hotel Minerva.

Mir geht es in Italien ausgezeichnet, Rom ist herrlich, an Kunstschätzen reich, wie nicht viele andere Städte, dabei die Ausgrabungen des alten Rom, alles öde Ruinen mit reichem Blumenflor bewachsen, äußerst interessant, stimmungsvoll u. malerisch, dabei ist Rom auch als moderne Weltstadt ganz hervorragend, Corso eminent lebhaft u. schön. Seit gestern bin ich in Neapel, dem reinen Paradies, von einer Naturschönheit, wie man sie sich gar nicht vorstellen kann; der herrliche Golf mit dem tiefblauen Meer u. dem wundervollen Blick auf Capri u. Sorrent, links der rauchende Vesuv und die äußerst malerisch an [2v] den Bergen gebaute Stadt von ganz orientalischem Gepräge, dabei das äußerst lärmende u. tolle Getriebe unter den Menschen, die Bevölkerung von Neapel unterscheidet sich nicht sehr von Betrügern u. Lumpen, das alles gibt ein Bild, das nicht zu beschreiben ist, ich wollte, Du könntest hier sein u. mit mir alles dieses Herrliche genießen. Doch München wird Dir im Juli auch nicht schlecht gefallen. Heute war ich in dem ausgegrabenen Pompei [sic], äußerst interessant u. schön; Samstag gehe ich nach Capri, Sorrent Amalfi u. kehre in ungefähr 8 Tagen nach Rom zurück, wo ich weitere 8 Tage bleiben werde, um dann über Florenz u. Venedig heimzukehren. Wenn Du mir baldigst nach Rom schreiben würdest, würdest Du mir eine große Freude machen. Leb wohl, süßer Schatz u. nimm einen herzlichen Kuß

von Deinem R.