[1v] Vertraulich!
Grand Hotel
Hotel d’Europe
Turin
Verehrter Freund und Direktor!
Vorgestern war Direktor Gailhard aus Paris bei mir u. brachte mir eine neue selbstgemachte französische Übersetzung von Salome. Er behauptet, meine Bearbeitung des französischen Textes sei dem französischen Sprachgebrauch zuwiderlaufend und absolut unsingebar. Ich bitte Sie nun, mir zu sagen, ob dies richtig ist oder ob nur eine Übertreibung des Herrn Gailhard vorliegt und nicht allenfalls nur geringere Abänderungen meiner französichen [sic] Ausgabe nötig sind, um dieselbe als in Frankreich aufführbar zu machen. Ich weiß, daß die Franzosen schrecklich conventionell sind, am Althergebrachten hängen und für Neuerungen schwer zugänglich sind. Darum wünschte ich auch Ihre Meinung zu hören, ob meine französiche [sic] Salome durchweg nichts taugt [2r] und von Anfang bis Schluss neu bearbeitet werden muß. Herr Gailhard hat seiner Bearbeitung die deutsche Originalversion der Singstimme zu Grunde gelegt u. ist auch, glaube ich, gerne geneigt, seine Bearbeitung Ihnen zur Verfügung zu stellen, falls Sie meine französische Ausgabe für absolut unmöglich zur Aufführung halten (auch nicht mit einigen nötigen Modificationen).
Bitte geben Sie mir umgehenden Bescheid, da ich, falls auch Sie meinen französichen [sic] Klavierauszug für absolut unbrauchbar halten, sofort eine vollständige Neuausgabe der französichen [sic] Salome nach dem Muster der Gailhardschen Arbeit veranstalten und meine Bearbeitung cassiren werde.
Ich bin vom 2. Januar an wieder in Berlin. Salome hatte auch hier großen Erfolg! Wann gedenken Sie das Werk herauszubringen u. in welcher Besetzung? Die Pariser [2v] Première wird wahrscheinlich Anfang Mai stattfinden.
Mit herzlichem Gruß
Ihr
stets ergebener
DrRichardStrauss.
Berlin W 15, Joachimsthalerstrasse 17