Brief
Richard Strauss an Hans von Bülow
Montag, 6. Januar 1890, Weimar

relevant für die veröffentlichten Bände: III/5 Don Juan, III/6 Tod und Verklärung

Hochverehrtester Herr von Bülow!

Endlich bin ich [die] düm̅ste aller Krankheiten, Influenza genannt, los u. kann endlich der schönen Pflicht genügen, Ihnen, hochverehrtester Herr Bülow, für die reizend liebenswürdige Übersendung Ihres Weihnachtsgeschenkes meinen herzlichsten Dank zu sagen. Strauss en miniature mit seinen langen Beinen u. langem Halse ist wirklich porträtähnlich u. hat mir u. Freund Rösch großen Spaß gemacht. Tausend Dank nochmals, daß Sie meiner so freundlich gedacht. Verzeihen Sie wirklich, daß sich diese Danksagung so weit hinausgeschoben hat (es war wirklich nicht meine Schuld), bis sie sich mit den Glückwünschen zu Ihrem nun herannahenden 60.ten Geburtstag, die ich mir heute in vollster Verehrung, [1v] innigster Treue u. Dankbarkeit Ihnen darzubringen erlaube, vereinigt. Sie, hochverehrtester Meister, zu dem wir Jungen alle emporblicken als zu unserm einzigen u. letzten Hort, der die Tradition für die Interpretation unsrer erhabensten Meisterwerke in seiner Hand hält, Sie möge uns Gott noch lange, lange in ungetrübter Jugendfrische u. Kraft erhalten, daß wir das Glück haben möchten, recht viel von Ihrem Künstlergeiste in uns aufzunehmen u. zum Heil unsrer schönen Kunst zu verwerten.

Dies sagt einer, dem es nicht einmal vergönnt ist, Ihren herrlichen künstlerischen Offenbarungen, von denen mir Freund Rösch wieder so viel erzählt, lauschen zu dürfen. Wie schmerzlich war es mir, daß ich nicht zur IXten da war! [2r] Die düm̅ste Arbeit von der Welt hielt mich hier mit eisernen Banden fest, die Correcturen meiner gedruckten Don Juanstim̅en, über denen ich Tag u. Nacht saß, da sie zur bestimmten Stunde fertig werden mußten, da sonst die für 10. Jan. fest in Aussicht genom̅ene Don Juanaufführung unmöglich geworden wäre. Ein schmählicher Grund, um nicht zur IXten zu kom̅en u. doch für mich im Augenblick so zwingend, daß ein Auflehnen dagegen unmöglich war. Der Abend, an dem ich hier Stim̅en corrigirend saß, während Sie in Berlin die IXte dirigirten, war mir ein Purgatorio für viele Sünden!

Na, Ende Januar bin ich sicher in Berlin u. höre da vielleicht – ich getraue mir kaum, eine Bitte auszusprechen – eine Beethovensche Sinfonie oder gar eine Wagnersche oder Berliozsche Ouvertüre (Holländer, Faust oder Lear)? [2v] Verzeihen Sie, bitte, wenn dies unbescheiden ist, aber es wäre zu schön, und wir armen Provinzler, die kaum einmal im Jahre das Glück haben, in Ihrer Nähe zu sein, daß wir natürlich für alles dankbar sind, was Sie uns darbieten, ist ja selbstverständlich. Also nur für den Fall, daß Sie für das Januarconcert in ganz besonderer Gebelaune sind, lieber, hochverehrtester Herr von Bülow!

Empfangen Sie nochmals meine herzlichsten, innigsten Segenswünsche u. die besten Grüße, (die ich Sie auch Ihrer verehrten Frau freundlichst zu übermitteln bitte)

Ihres

in treuester Verehrung

ergebensten

RichardStrauss.

verantwortlich für die Edition dieses Dokuments: Stefan Schenk

Quellennachweis

  • Original: Meininger Museen, Sammlung Musikgeschichte, Max-Reger-Archiv (Meiningen), Signatur: Br 184, 38 (Autograph)

    • Hände:

      • Richard Strauss (handschriftlich)
    • Autopsie: Keine Autopsie des Originals.

    • Reproduktionen:

      • Forschungsstelle Richard-Strauss-Ausgabe (München) (Transkriptionsgrundlage)

    • Original: Österreichische Nationalbibliothek (Wien), Signatur: F50.IMBA.38 Mus (Typoskript)

      • Autopsie: Keine Autopsie des Originals.

    Bibliographie (Auswahl)

    • Edition in Hans von Bülow / Richard Strauss / Willi Schuh (Hrsg.) / Franz Trenner (Hrsg.): Briefwechsel, in: Willi Schuh (Hrsg.): Richard-Strauss-Jahrbuch 1954, Bonn, 1953, S. 76–77.
    • Edition in Gabriele Strauss (Hrsg.): Lieber Collega! Richard Strauss im Briefwechsel mit zeitgenössischen Komponisten und Dirigenten, Bd. 1 (= Veröffentlichungen der Richard-Strauss-Gesellschaft, Bd. 14), Berlin, 1996, S. 88–89.

    Zitierempfehlung

    Richard Strauss Werke. Kritische Ausgabe – Online-Plattform, richard‑strauss‑ausgabe.de/d02099 (Version 2022‑11‑18).