[…] Als Novität des Abends gelangte ein neues Werk von Richard Strauß: »Till Eulenspiegel« zur Aufführung. Wie ein beigegebenes Programm detaillirte, versucht der Komponist mit dieser sinfonischen Dichtung die lustigen Streiche Eulenspiegel’s zu charakterisiren. Infolge dessen geht es in dem Stück ziemlich bunt her. Ein »Spaß« folgt dem anderen und als diese erschöpft sind, wird Eulenspiegel gehenkt. Das Schnappen nach Luft, das Umdrehen des Halses, das letzte Zappeln am Galgen, Alles ist ganz en plain air dargestellt und ausgedrückt, ohne viel zu fragen, ob die bedauernswerthe Muse der Musik berufen ist, solchem Galgenhumor zu dienen. Da zu solchen außergewöhnlichen »Kunstleistungen« auch aparte Mittel gehören, so hat der Komponist sein Bläserchor auch außergewöhnlich zusammengestellt: Drei große Flöten, eine kleine Flöte; drei Oboen, englisches Horn; zwei B-Clarinetten, eine D-Clarinette und eine Baßclarinette; drei Fagotte, ein Contrafagott, vier E-Hörner und drei F-Trompeten (dazu ad libitum: vier D-Hörner und drei D-Trompeten); drei Posaunen, Baßtuba, Becken, Triangel und – große Ratsche! Die Letztere handhabten seiner Zeit sehr erfolgreich die Dresdner Bretzelmänner. Mit diesem ungewöhnlichen Apparate, zu welchem selbstverständlich ein starkes Streichquintett tritt, wird Eulenspiegel zum Leben erweckt und zum Tode geführt. Die virtuose Führung des Orchesters, die oft geniale Wirkung der Farben, die große polyphone Kunst wird Niemand verkennen, der Wirkung dieser »sinfonischen Dichtung« wird man aber kaum das Wort reden können. Wenn der oft ohrenbetäubende Lärm verklungen ist, fragt sich der Hörer umsonst nach der Ursache. Weder im Ohr noch im Gemüth ist etwas von dieser Muse haften geblieben und gelacht über die Späße haben wohl nur Diejenigen, die das Genre der modernsten Musik auf das Schild gehoben wissen wollen. An die Ausführung des Stückes kann sich nur ein Virtuosenorchester vom Range der Königl. Hofkapelle heranwagen. Was diese und ihr Leiter, Herr Generalmusikdirektor Schuch, mit der bewunderungswürdigen Darstellung der tollen Komposition leisteten, hat wohl zum größeren Theil den lauten Beifall hervorgerufen, der dem »Eulenspiegel« vorgestern zu Theil geworden ist.
H. St.
»Drittes Sinfonie-Concert«
in: Dresdner Nachrichten, Bd. 355, Jg. 40, Sonntag, 22. Dezember 1895, Rubrik »Kunst und Wissenschaft.«, S. 3
relevant für die veröffentlichten Bände: III/7 Till Eulenspiegels lustige Streiche
[3] Drittes Sinfonie-Concert