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»[Richard Strauß in Paris.]«
in: Frankfurter Zeitung und Handelsblatt. (Frankfurter Handszeitung). (Neue Frankfurter Zeitung), Bd. 333 (erstes Morgenblatt), Jg. 42, Mittwoch, 1. Dezember 1897, Rubrik »Kleines Feuilleton.«, S. 2

relevant für die veröffentlichten Bände: III/7 Till Eulenspiegels lustige Streiche
[2] [Richard Strauß in Paris.]

Aus Paris, 28. Nov., wird uns berichtet: Colonne erfüllte uns heute einen Wunsch, den wir beim Anlaß der Nikisch-Konzerte im Wintercirkus aussprachen: er machte uns mit dem deutschen Komponisten Richard Strauß bekannt, der bis dahin in Paris nur in den Kammermusikkonzerten von Breitner berücksichtigt worden ist. Colonne hat die Gefälligkeit gleich auf die Spitze getrieben, indem er nicht nur die längere zweite Hälfte seines heutigen Konzertes dem Münchener Tonsetzer widmete, sondern ihm auch den Taktstock abtrat und Frau Strauß-de Ahna, die Bayreuther Elisabeth, einlud, als Sängerin an dem Triumphe ihres Gatten theilzunehmen. Das Wort »Triumph« sagt in der That nicht zu viel. Es war höchst auffallend, wie sich die Haltung des Publikums vom ersten zum zweiten Theil des Konzerts änderte. Colonne begann mit Beethoven’s A-dur-Symphonie, worin nur der zweite und vierte Satz den üblichen Beifall ernteten, weil im ersten und dritten nicht Alles klappte. Dann kam eine französische Novität an die Reihe, ein Violinconcert von Théodore Dubois, das Henri Marteau, ein erster Preisgekrönter des Konservatoriums von 1892, vortrug. Das Werk des Direktors des Konservatoriums hatte einen sehr schweren Stand. Die Majorität der Zuhörer bot einer kampflustigen Minderheit nur wenig Widerstand und nach dem, in der That in Gedanken und Ausführung ziemlich schwachen, ersten Satze schien die Sache verloren. Das melodiöse Adagio sprach mehr an und das von Vulgarität nicht ganz freie Finale (allegro giocoso) brachte dank der Bravour des Solisten einen Achtungserfolg zu Stande. Wie strenge Richter bei Colonne auf der obersten Gallerie sitzen, geht aus dem Rufe hervor: »Il y a trop de quarte-sixtes (Quartsextakkorde) dans cette musique-là!« Auf diesen schweren Kampf folgte Strauß mit seinem »Eulenspiegel«. Er kam, dirigirte und siegte,« darf man von seinem ersten Auftreten sagen. Ein Publikum, das Berlioz’ »Symphonie fantastique« als Meisterwerk zu bewundern gewohnt ist, kann sich freilich leicht genug in Strauß’ »Eulenspiegel« hineinfinden, dessen Schlußeffekte mit Berlioz’ »Gang zum Hochgericht« eine große Verwandtschaft haben. Frau Strauß sang hierauf vier Lieder ihres Gatten mit Orchester-, vier mit Klavierbegleitung. Obschon sie nicht im Vollbesitz ihrer Stimme zu sein schien und mehr durch die Beseelung als durch die Kraft ihres Vortrags glänzte, so fand doch auch sie den besten Empfang. Da dem Programm die französische Uebersetzung der deutsch gesungenen Lieder beigegeben war, so konnte das Publikum mit vollem Verständniß folgen. Das reizend komponirte und orchestrirte Lied von Mackay »Und morgen wird die Sonne wieder scheinen« mußte wiederholt werden. Auch das in Deutschland vielbeliebte Lied H. v. Gilm’s »Stell auf den Tisch die duftenden Reseden«, das Strauß am Klavier begleitete, sprach ungemein an. Den Schluß bildete das symphonische Gedicht »Tod und Verklärung«, dessen Schluß zwar großartig ist, das aber vorher zuviel Längen und blinden Lärm enthält, aber das Publikum, welches bei den konventionellen »Rosalien« und Passagen von Dubois soviel Ungeduld gezeigt hatte, schien das gar nicht zu merken. Seine Aufmerksamkeit blieb gespannt bis ans Ende und eine dreifache Salve für den deutschen Tonsetzer schloß dieses denkwürdige Concert, welches ein würdiges Seitenstück zu der glänzenden Aufnahme der »Meistersinger« in der großen Oper genannt werden darf.

verantwortlich für die Edition dieses Dokuments: Schenk, Stefan

Zitierempfehlung

Richard Strauss Werke. Kritische Ausgabe – Online-Plattform, richard‑strauss‑ausgabe.de/b45878 (Version 2025‑06‑04).

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