[unbekannt]
[ohne Titel]
in: Musikalisches Wochenblatt. Organ für Musiker und Musikfreunde, Jg. 24, Heft 3, Donnerstag, 12. Januar 1893, Rubrik »Tagesgeschichte / Musikbriefe«, S. 34–35

relevant für die veröffentlichten Bände: III/6 Tod und Verklärung
[34]
München, Ende December.

(Fortsetzung)

Das 3. Abonnementconcert der Akademie im Theater glich seinem Vorgänger in manchem Stücke, zunächst in der kunstverständigen Anordnung des Programms. […] Einen erfreulichen Gegensatz zum Gesammtvortrage des Bach’schen Stückes bildete Jener der am Schlusse des Programmes erscheinenden Tondichtung »Tod und Verklärung« für Orchester von Richard Strauss. Dieses Werk war vorzüglich studirt und erzielte dank seiner satt gehaltenen Instrumentation auch im ungünstigen Raume eine verhältnissmässig vortreffliche Klangwirkung. Es hat die sichtlich von allen Seiten auf sein Studium verwandte Mühe reichlich gelohnt: denn es erwies sich in dieser Vorführung als das künstlerische Product einer ebenso tiefen wie grossen Empfindungsweise (?). Letztere liess den »Tondichter«, der diese Bezeichnung recht im Gegensatze zum üblichen »Tonsetzer« verdient, nach seinem bedeutenden Vorwurfe das Gemälde des titanenhaften Kampfes einer gewaltigen Natur zwischen Leben und Vernichtung, bis zur Katastrophe des Unterganges und der Erlösung in fernen Sphären mit jener geheimnisvollen, musikalisch-poetischen Kraft ausführen, die aufs Unmittelbarste ergreift. Die Beherrschung der Ausdruckmittel des Orchesters durch Strauss zeugt von genauer Kenntniss aller Errungenschaften der grossen Meister der Neuzeit, sowie von absoluter Sicherheit in Handhabung der Instrumentirungstechnik. Als ein besonderes Merkmal des Rich. Strauss’schen Schaffens gilt uns sein ans Geniale streifender Sinn für musikalische Farbenpracht, deren Reichthum und deren Glanz in diesem Werke ein vorher fast unerhörter ist und in der That mitunter geradezu Neues bringt. Und das will angesichts der ungeheuren Fortschritte, die auf diesem Gebiet während der letzten Decennien erfolgt sind, schon etwas heissen! Hinsichtlich der Themen-Erfindung wird der hervorragend veranlagte Tondichter noch weiterhin den von seinen Vorbildern, von Beethoven bis Liszt, dafür gewonnenen grossen Formen eindringende Aufmerksamkeit zu widmen haben, um späterhin die höchste Stufe der ihm voraussichtlich erreich[35]baren Kunstthätigkeit zu erklimmen. Die Durchführungen dagegen und die Steigerungen zeugen jetzt schon von seltener musikalischer Gestaltungskraft und ausserordentlich klar entwickeltem Sinne für künstlerische Einheitlichkeit. Das sehr schöne programmatische Gedicht, das der Composition beigedruckt ist, stammt von dem älteren Freunde und Kunstgenossen Strauss’, Alexander Ritter, und ist nach der Composition, dem überwältigenden Eindrucke der Letzteren entsprossen, entstanden. […]

verantwortlich für die Edition dieses Dokuments: Stefan Schenk

Zitierempfehlung

Richard Strauss Werke. Kritische Ausgabe – Online-Plattform, richard‑strauss‑ausgabe.de/b45639 (Version 2022‑11‑18).

Versionsgeschichte (Permalinks)