H. E. Das vorletzte philharmonische Bülow-Konzert brachte eine Neuheit: »Tod und Verklärung«, symphonische Dichtung von Rich. Strauß. Der Komponist hat vor einigen Jahren mit mehreren Werken, besonders mit einem Chor und einer Symphonie, die italienische Eindrücke schilderte, die Aufmerksamkeit und Sympathie sehr vieler Musikfreunde erregt, die ein bedeutendes, vielversprechendes Talent in ihm erkannten. Aber in letzter Zeit hat er einen Weg eingeschlagen, der ihn unbedingt von jedem richtigen Ziele ableiten muß, gleichviel in welcher Richtung dieses Ziel liegt. Die erste Bedingung für jedes wahre Kunstwerk ist ein organischer Ideengang, eine Entwickelung der Tonformen, die dem vorurtheilsfreien Hörer die Ueberzeugung aufdrängt, daß die Komposition (ob sie ihm nun gefalle oder nicht) vor Allem ein Tonwerk ist, das heißt, daß sie nicht aus einem vorgefaßten unklaren aesthetischen Prinzipe, sondern aus einem gehaltreichen musikalischen Gedanken entstanden ist. Aber so manche Werke der jüngsten neudeutschen Schule zeigen, daß es auch eine Pedanterie der Formlosigkeit, ein Philisterthum der Dissonanz giebt. Warum studiren die Herren, bevor sie die Feder zu derartigen Versuchen ergreifen, nicht erst Richard Wagners Vorspiel zu Tristan und Isolde, diese entschiedenste und eigenste Schöpfung des Gründers der Schule? In diesem Vorspiele fehlt es gewiß nicht an rücksichtslosen Dissonanzen und sonstigen Nichtbeachtungen alles Hergebrachten. Aber es ist kein Takt darin, der nicht aus dem Hauptgedanken entsprang; und der Aufbau des Stückes mag Jedem als Muster dienen. Oder wäre es vielleicht in den Augen des Jüngst-Neudeutschen schon antiquirt? Wer kann es wissen!
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