Es regnet, und das Wetter ist gar nicht einladend zum Spazierengehen. Aber Richard Strauß, der eben von der Eisenbahn kommt, möchte sich ein bischen [sic] »auslaufen«. Und so wandeln wir denn durch die ungemüthlichen Straßen und führen unterm Regenschirm ein ernsthaftes Kunstgespräch.
»Was ich arbeite? Ich bin gerade mit einer Ballade für Chor, Soli und großes Orchester beschäftigt, »Taillefer« von Uhland. Ich wundere mich, daß dieses frische prächtige Gedicht noch nicht componirt worden ist; mindestens ist mir keine Composition bekannt geworden. Ueberhaupt liebt man Uhland viel zu wenig. Als junger Mensch habe ich ihn auch wenig beachtet, aber jetzt nahm ich ihn vor und fand Schönheit um Schönheit. Ich habe auch den Stoff zu zwei symphonischen Dichtungen. Aber ich weiß nicht, welche von beiden ich ausführen werde, und ob es überhaupt jetzt so weit kommt. Ich brauche immer ein bis zwei Jahre, ehe eine Composition bei mir Gestalt gewinnt. Mir fällt eine Idee ein, ein Thema. Nun liegt es in mir, monatelang. Ich denke an ganz andere Dinge, beschäftige mich mit ganz anderen Sachen. Die Idee in mir aber arbeitet fort, ganz allein für sich, wie in einer Separat-Camera. Machmal nehme ich sie vor, sehe nach, wie weit sie gediehen ist, lasse sie mir durch den Kopf gehen, spiele sie mir wol [sic] auch am Clavier – endlich gehe ich an die Ausführung. Sehen Sie, darin liegt die Kunst des Schaffenden: genau zu wissen, wann eine Idee reif ist, wann man sie ausführen darf, ausführen muß. Ich glaube immer fester daran, daß wir bewußte Menschen über das schaffende Princip in uns nichts vermögen. Da plage ich mich eines Abends mit einer Melodie, komme an eine Stelle, über die ich nicht hinweg kann, wie sehr ich mich auch mühe. Am nächsten Morgen ist die Schwierigkeit mühelos überwunden. Es ist, als ob das schaffende Princip über Nacht in mir, ganz unabhängig von mir, für sich allein gearbeitet hätte. Vor einigen Jahren sagte ich einem Freunde, ich wolle eine symphonische Dichtung, »Der Frühling«, componiren. Mein Freund erzählte es weiter, auf das Programm des nächsten Musikfestes wurde schon der »Frühling« von Richard Strauß gesetzt, ich sollte dirigiren – aber bis heute ist der »Frühling« noch nicht componirt, so viel Themen und Entwürfe ich dazu im Kopfe habe. Ich weiß auch gar nicht, wann und ob ich diesen »Frühling« je machen werde. Manchmal fällt mir zuerst das Thema ein, und ich finde später dazu das poetische Kleid. Manchmal auch habe ich zuerst die poetische Idee, die dann musikalische Gestalt annimmt. Vielleicht auch mache ich in nächster Zeit eine Oper. Ein junger Wiener Dichter hat mir einen Stoff vorgeschlagen, der mir sehr gut paßt. Mit einem anderen Stoffe beschäftige ich mich selbst.«
Das Gespräch kommt auf die Erfordernisse eines guten Librettos.
»Die alten Versmaße, die jambischen, und trochäischen Rythmen [sic], ebenso der Reim sind für die Musik ganz unbrauchbar., denn die Musik hat einen ganz anderen Rhythmus und muß nothwendig die Versform zerschlagen. Meiner Meinung nach ist nur der Nibelungenvers oder eine geschwungene Prosa für die Composition das Beste.«
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