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in: Münchner Neueste Nachrichten und Münchener Anzeiger, Jg. 40, Heft 62, Donnerstag, 3. März 1887, Erstes Blatt, Rubrik »Theater, Literatur und Wissenschaft«, S. 4

relevant für die veröffentlichten Bände: III/3 Aus Italien
(Musikalische Akademie.)

Das gestrige erste Abonnement-Konzert der musikalischen Akademie wurde mit Rheinberger’s Ouverture zu Shakespeare’s Lustspiel »Der Widerspänstigen Zähmung« op. 18 eröffnet. Die recht charakteristisch gehaltene Komposition fesselt ebenso durch die den Hauptthemen innewohnende Frische und Lebendigkeit, sowie durch eine musterhafte Beherrschung der Form und die spielende Leichtigkeit mit der der Tonsetzer kontrapunktische Gestaltungen seinen speziellen Zwecken dienstbar zu machen versteht. Die unter der Leitung des Hofkapellmeisters Levi vorzüglich ausgeführte Ouverture wurde mit lebhaftem Beifall aufgenommen und mußte der anwesende Komponist zweimal auf dem Podium erscheinen, um den Dank der Hörer entgegenzunehmen. Hierauf folgte eine Neuigkeit, die symphonische Phantasie: »Aus Italien« (Manuskript) von Richard Strauß. Diese Tonschöpfung zeigt in ihrer ganzen Anlage und Ausführung, daß der junge, so entschieden begabte Komponist mit den Werken der neueren Musik vertrauter geworden ist und nun die gewonnenen Eindrücke in selbstständiger Weise wiederzugeben trachtet. Es darf nicht überraschen, wenn er bei diesem ersten Betreten des Gebietes der Programmmusik noch nicht in jeder Hinsicht seine ihm vorschwebenden Ziele erreicht, aber dies muß ausgesprochen werden, daß er einen großen Reichthum der Phantasie und einen seltenen Sinn für originelle musikalische Farbengebung entfaltet. Als der gelungenste Satz des ganzen Werkes erscheint uns der erste: »Auf der Campagna« (Andante). Eine wie in der Mittagstille brütende Naturstimmung ist hier mit treffender Bestimmtheit und konsequenter Durchführung zum Ausdruck gebracht. Einzelne Stellen erinnern an das »Rheingold«, im Ganzen hält sich aber der Tondichter frei von Reminiszenzen und fesselt durch bedeutungsvolle harmonische Wendungen und ein ungemein saftiges Orchesterkolorit. Der Zusammenhang zwischen der Ueberschrift des zweiten Satzes: »In Rom’s Ruinen« (Allegro con brio) mit dem gebrachten musikalischen Ideengehalte ist uns nicht klar geworden. Kampffreudige Motive wechseln mit idyllischen Anklängen in etwas willkürlicher Weise, im Stile steht dieser Satz nicht auf der Höhe des ersten. Glänzende Klangwirkungen bringt das Andante: »Am Strande von Sorrent«. Hier ist aber der Tondichter der Gefahr nicht entgangen, über dem Schwelgen in üppigen Klängen die charakterische Gestaltung der melodischen Formen, die sich in ziemlich gewöhnlichen Geleisen bewegen, zu vernachlässigen. Der letzte Satz: »Neapolitanisches Volksleben« Allegro molto (mit Benützung neapolitanischer Volkslieder) zeigt große Energie des Ausdruckes und ein stürmisch erregtes Empfindungsleben. Die Einleitungstakte sind eine direkte Nachahmung des Anfangs von Liszt’s »Mazeppa«, in der sonstigen Haltung machen sich mehr Berlioz’sche Einschlüsse geltend; Doch hat unser junger Tondichter gerade die barocken und grotesken Eigenthümlichkeiten dieses genialen Komponisten mehr auf sich einwirken lassen, als daß er es sich zum Muster genommen hätte, mit welcher plastischen Bestimmtheit derselbe in Schöpfungen wie dem »römischen Carneval« und der »Räuber-Orgie«, der Harold-Symphonie seine dichterischen Intentionen musikalisch zu verkörpern versteht. Die Zuhörer folgten mit sichtlichem Interesse dem ganzen Verlaufe des Werkes und wurde der sein Werk mit Feuer und Entschiedenheit dirigirende Komponist trotz einer sich geltend machenden Opposition durch zweimaligen Hervorruf ausgezeichnet. Einen glänzenden Erfolg errang Fräulein Emilie Herzog mit drei Schubert’schen Liedern. Namentlich »Die Sterne« op. 96 Nr. 1 und »Der Hirt auf dem Felsen« op. 129 entsprachen dem so jugendlichen Klange ihrer prächtigen Sopranstimme und ihrer so natürlich anmuthsvollen Vortragsweise. Die Künstlerin wurde aber auch durch eine von Levi mit feinster Ausgestaltung durchgeführte Begleitung unterstützt, an welcher in dem letzten Liede sich Herr Ferdinand Hartmann betheiligte, der die der Solo-Klarinette zugewiesenen Kantilenen und Passagen mit ebenso schöner wie maßhaltender Tongebung und ausdrucksvollster Phrasirung zu Gehör brachte. Den nicht enden wollenden Hervorrufen Folge leistend, erfreute Frl. Herzog noch durch eine von liebenswürdigster Grazie erfüllte Wiedergabe des Goethe-Schubert’schen »Haiderösleins«. Die zweite Abtheilung des Programms brachte eine (bis auf geringe Zufälligkeiten im zweiten Satze) vorzügliche Ausführung von Beethovens vierter Symphonie in B-dur op. 60.

verantwortlich für die Edition dieses Dokuments: Stefan Schenk

Zitierempfehlung

Richard Strauss Werke. Kritische Ausgabe – Online-Plattform, richard‑strauss‑ausgabe.de/b44098 (Version 2021‑04‑12).

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