B.
» [ohne Titel]«
in: Musikalisches Wochenblatt. Organ für Musiker und Musikfreunde, Jg. 20, Heft 19, Donnerstag, 2. Mai 1889, Rubrik »Tagesgeschichte/Musikbriefe«, S. 231–232

relevant für die veröffentlichten Bände: III/3 Aus Italien
Frankfurt a. M., im April.

(Fortsetzung.)

Erfreulicher sind die künstlerischen Ergebnisse der dies jährigen Concertsaison. Neben manchem weniger Hervorragenden und selbst Mangelhaften wurde doch auch viel Gutes geboten, und mit Dank soll vorerst anerkannt werden, dass die Leitung der Museumsconcerte sich endlich entschlossen hat, wennschon in bescheidenen Grenzen, Berlioz und Liszt zu Gehör zu bringen. Ausser Beethoven, dessen 9. Symphonie die zwölf Orchesterconcerte in würdiger Weise zum Abschluss brachte, Mozart, Schumann, Mendelssohn und Brahms (Cmoll-Symphonie und die Adur-Serenade, welche einer feineren Ausarbeitung seitens des Dirigenten bedurft hätte, um nicht zu ermüden) wurden von grösseren Werken unter Leitung der betreffenden Componisten vorgeführt: Richard Strauss’ symphonische Phantasie »Aus Italien«, die Suite No. 3 von Tschaïkowsky (Op. 55) und A. Klughardt’s Fmoll-Symphonie (Op. 34). Zweifellos erweckt von diesen Werken das lebhafteste Interesse die Phantasie des genialen jungen Tondichters, sie fesselt gleichmässig durch blühende, aber nicht zügellose Phantasie, feine orchestrale Arbeit und Prägnanz der Motive. Wenn das hervorragende Werk, dessen wiederholter Vorführung wir gelegentlich der diesjährigen Tonkünstler-Versammlung in Wiesbaden entgegen sehen, nicht vielleicht den rauschenden Beifall findet, wie des Componisten treffliche Symphonie, so ist dieses lediglich dem Mangel eines ausführlichen Programms zuzuschreiben; der Tondichter hätte sich nicht mit Titeln für die einzelnen Sätze genügen lassen sollen. Wir haben dem sehr interessanten Werke zur Erleichterung des Verständnisses an anderer Stelle dieses Blattes eine eingehende Besprechung mit Notenbeispielen gewidmet und dürfen daher hier auf dieselbe verweisen. Die Suite Tschaïkowsky’s zeigt alle grossen Vorzüge, aber auch die Mängel des russischen Musikers. Buhlt Frankreich politisch um [232] die Gunst des Zarenreiches, so lehnen sich die neurussischen Tonkünstler offenbar an französische Meister an; namentlich hat Saint-Saëns mit seiner pikanten Grazie den erheblichsten Einfluss auf das an sich schwerfällige, zum Elegischen hinneigende Russenthum gewonnen. Wie bei manchen Werken Tschaïkowsky’s ist der motivische Inhalt für das sehr umfangreiche Werk nicht bedeutend genug, und differiren die einzelnen vier Sätze zu wenig in ihrer Stimmung, um trotz der glänzendsten Mache und der überraschenden Klangwirkungen nicht schliesslich doch zu ermüden. Wir möchten dem etwas knapperen ersten Satze (Elégie, G dur), welcher sehr anmuthige Themen enthält, vor dem zweiten (Valse mélancolique, E moll) und namentlich vor dem Scherzo (G dur) den Vorzug einräumen. Der vierte Satz (Tema con variazioni, G dur) zeichnet sich durch ein schönes Thema aus, die Variationen sind indessen mehr äusserlich concertant gehalten und nicht im höheren Sinne, wie bei Beethoven und Brahms, »psychische Veränderungen«. Die das Werk abschliessende Polacca ist überaus effectvoll, ermangelt indessen nicht ganz brutaler Klangwirkungen. Ein grösserer Gegensatz hierzu als Klughardt’s F moll-Symphonie ist wohl kaum denkbar; man könnte sie für ehrliche deutsche Capellmeistermusik typisch nennen, überall tüchtige, sorgfältige Technik, gewissenhafte Beobachtung der Form, Fernhalten jedes Banalen, andererseits aber auch trockener Ton, mehr An- als Selbstempfundenes und Mangel an Eigenartigkeit. Das den ersten Satz einleitende Lento (F moll, 4/4) beginnt mit seinem über gedämpften Paukenwirbel ertönenden, etwas an den »Iwein« des Componisten gemahnenden düsteren Thema der Clarinette und Fagotte verheissungsvoll, aber schon die mit dem 12. Takte einsetzende Ges dur-Cantilene der ersten Geige (a b des es des, a b des es f es) ist sentimental und nicht symphonisch gedacht. Der zweite langsame Satz ( D moll) zeichnet sich durch contrapunctische Arbeit aus, aber das von den Bässen und Violoncelli eingeführte Thema (d a, d e, f g a, e e, g f e, d e, a) erscheint uns akademisch nüchtern und monoton. Der dritte Satz (Appassionato, F moll, 3/4) ist trotz der lebhaften Figur der Violen doch mehr äusserlich als innerlich bewegt und das Thema (h c des, c h, h c) wieder nicht von symphonischer Prägnanz. Das Werk schliesst mit einer Fuge, deren Thema sehr an die Brahms’sche Fuge aus den genialen Variationen Op. 24 erinnert (f g, f g f g a).

(Schluss folgt.)

verantwortlich für die Edition dieses Dokuments: Stefan Schenk

Zitierempfehlung

Richard Strauss Werke. Kritische Ausgabe – Online-Plattform, richard‑strauss‑ausgabe.de/b44096 (Version 2021‑04‑12).

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