Wie Richard Strauss früher dachte — so hätte ich diese Zeilen überschreiben können — wie er nämlich früher in Sachen der Programmmusik und seiner eigenen kompositorischen Ziele dachte. Unsere Leser erinnern sich des Aufsatzes aus der vorigen Nummer über Programmmusik, es war darin von innerer und äusserer Tonmalerei die Rede, wobei auch etliche Beispiele aus der klassischen Zeit angeführt wurden. Im Anschluss an eine Schilderung der Ziele der grossen Programmmusiker Berlioz und Liszt, von denen gesagt war, dass der eine nur Vorgänge des Seelenlebens seinen Tonschöpfungen zu Grunde gelegt habe und der andere auch noch nicht viel weiter gegangen sei, indem es vorwiegend seelisch-poetische Ideen gewesen, die er in Tönen zur Darstellung gebracht, hiess es dann, hier setze Richard Strauss ein, der mit beispielloser Kühnheit aus der Programmmusik die letzten Konsequenzen ziehe und alles und jedes in Klängen zu malen versuche. Es wurde mir beim Lesen des Manuskripts schwer, hier nicht die Worte einzuschieben, »der aber auch einmal von den Aufgaben der Programmmusik genau so gedacht hat, wie Berlioz oder doch wie Liszt«. Nicht nur der Gedanke an die früheren Schöpfungen Strauss’, die wohl nicht nur nach Ansicht des Verfassers jenes Artikels in »Tod und Verklärung« ihren genialen Gipfelpunkt erreicht haben, war es, der mich dazu drängte, sondern auch die Erinnerung an eigene Worte des Komponisten. Ich erinnerte mich dunkel noch eines Briefes, den Strauss mir vor einer Reihe von Jahren geschrieben, und in welchem er seine Ziele in ganz anderer Weise gekennzeichnet hatte, als sie in seinem heutigen Schaffen zu Tage treten. Da nun ein Richard Strauss — auch der jugendliche von damals, oder gerade dieser — zu den Personen gehört, deren Briefe man, wenn sie nicht lediglich den Dank für eine Kritik enthalten, aufzubewahren pflegt, so gelang es der eifrig suchenden Hand der Hausfrau in nicht zu langer Zeit, unter allerlei Schriftstücken auch dieses zu finden. Es ist aus München datiert und stammt aus dem Januar des Jahres 1889. Damals war im Gürzenich unter Wüllner Strauss’ Sinfonie Fantasie in G-dur »Aus Italien« aufgeführt worden. Der Umstand, dass ein Teil des Publikums sich offensichtlich besonders durch glanzvolle instrumentale Aeusserlichkeiten angezogen gefühlt hatte, veranlasste mich zu dem Versuch, in meiner Besprechung die Aufmerksamkeit etwas von diesen abzulenken und dem musikalischen Kern und poetischen Gehalt zuzuwenden, indem ich ausführte, dass hier Empfindungen und nicht Begebenheiten geschildert würden, dass Stimmungen und nicht äussere Klangbilder den musikalisch-poetischen Wert dieser Komposition ausmachten. Gerade dieses — es wurde von anderer Seite auch anders geurteilt — hatte den jugendlichen Meister wohlthuend berührt, und in einem längeren Briefe, — der in seiner liebenswürdigen Einleitung und seinem verbindlichen Schlüsse, die ich hier fortlasse, übrigens auch als ein Beweis dafür dienen könnte, dass Strauss damals von den, heute in seinem »Heldenleben« so wenig schmeichelhaft porträtierten Kritikern ebenfalls noch anders dachte, — sagte er unter anderem folgendes:[37] »Bei der erschreckenden Urteils- und Verständnislosigkeit eines grossen Teils der heutigen Männer der Feder überraschte mich die, mir obendrein so schmeichelhafte Kundgebung eines wahrhaft Berufenen doppelt angenehm, denn es ist mir schon zu wiederholtem Male passiert, dass sich ein grosser Teil von Kritik, wie Publikum, durch vielleicht blendende, rein nebensächliche Aeusserlichkeiten meines Werkes über den eigentlichen Inhalt desselben täuschen liessen, ja, denselben vollständig übersehen haben. Es ist doch eigentlich zu lächerlich, einem heutigen Komponisten, dem sowohl die Klassiker, insbesondere der letzte Beethoven, als auch Wagner und Liszt Lehrmeister waren, zuzutrauen, dass er ein Werk von einer Länge von Stunden schreibt, um mit einigen pikanten Tonmalereien und glänzender Instrumentation, deren heutzutage beinahe jeder vorgeschrittene Konservatorist mächtig ist, prunken zu wollen.
›Ausdruck‹ ist unsere Kunst, mehr als die bildenden Künste, ja selbst als die Wortpoesie! Die Poesie ist aber die Mutter aller Künste, und ein Musikwerk, das mir keinen wahrhaft poetischen Inhalt mitzuteilen hat — natürlich einen, der sich eben nur in Tönen wahrhaft darstellen, in Worten allenfalls andeuten, aber nur andeuten lässt — ist für mich eben etwas, was ich unter alles andere eher rechnen möchte, als unter die eben deshalb poetischste Kunst, weil sie des höchsten Ausdrucks fähig ist: die Musik. — Es mag Ihnen vielleicht merkwürdig erscheinen, aber Ihre Besprechung meines neuen Werkes gehört unter die ersten, die mir den Beweis lieferten, dass ihr Urheber den Inhalt meines Werkes: Empfindungen beim Anblick der herrlichen Naturschönheiten Roms und Neapels, nicht Beschreibungen derselben — ›Ein musikalischer Bädeker Süditaliens‹ bekam ich einmal zu lesen — wirklich erfasst hat. Es mag Ihnen vielleicht komisch sein, aber es ist leider so.« usw. usw.
Diesen Ausführungen Strauss’ braucht kaum noch etwas hinzugefügt zu werden; zu nachdrücklich beweisen sie, was ich durch die Veröffentlichung beweisen wollte, vor allem natürlich in dem Passus, in welchem Strauss erklärt, was er von einem Musikwerk verlangt. Ein Feind der absoluten Musik, ist ihm ein Tonstück nichts, wenn es ihm »keinen wahrhaft poetischen Inhalt mitzuteilen hat«. Aber er versteht darunter »natürlich einen, der sich eben nur in Tönen wahrhaft darstellen lässt, in Worten allenfalls andeuten, aber nur andeuten lässt«, und ist dieser ein anderer, so ist das Musikstück für ihn eben etwas, das er »eher unter alles andere rechnen möchte, als unter Musik«, also keine Musik mehr. So dachte einst derselbe Strauss, der heute — in völlig entgegengesetzter Richtung, als der damals gekennzeichneten, sich bewegend — so oft uns Vorgänge in Tönen zu schildern sucht, die sich »eben nur« in — Worten wahrhaft darstellen lassen, in — Tönen »allenfalls andeuten, aber nur andeuten lassen« …. Ich denke, dieser Brief des jungen Strauss ist, neben die Werke des älteren gehalten, interessant; lediglich deshalb veröffentlichte ich ihn, und nicht etwa, um daran den Ausruf zu knüpfen: Armseliger Strauss, ich kenne dich nicht mehr! Denn so sehr sich Strauss in diesen elf Jahren auch verändert hat, mit meiner Bewunderung für sein Genie hat sich nichts geändert, wohl mit meiner Freude an den Hervorbringungen desselben seit »Tod und Verklärung«, und auch diese Versicherung muss ich noch mit der Einschränkung abgeben, dass der später geborene »Till Eulenspiegel« als grandioser genialer Orchesterulk eine Sonderstellung für mich einnimmt. Trotzdem die Schöpfung vielfach die Grenzen weit überschreitet, welche Strauss sich damals im besonderen und welche die wahre Tonkunst dem Tondichter stets im allgemeinen zieht, hat mir »Till Eulenspiegel« von Anfang an grosse Freude bereitet, wie denn ja auch in jedem der letzten und noch so stark anfechtbaren Werke Strauss’ Abschnitte sich befinden, die zu den kostbarsten und schönsten Schätzen der Tonkunst gehören.