Den Stammgästen der Museums-Concerte ward noch kurz vor Schluß eine Ueberraschung zu Theil. Der seit Kurzem in Weimar als Hofkapellmeister thätige jugendliche Komponist Richard Strauß erschien in Person mit seiner neuesten Schöpfung »Don Juan«, Tondichtung für großes Orchester op. 20. Rascher als sich nach dem unbestrittenen Erfolg seiner F-moll-Symphonie erwarten ließ, hat Strauß die Grenzen der überlieferten Formen überschritten, und sieht man ihn in seiner hier ebenfalls bekannten »Italienischen Fantasie« mit ungestürmem Drängen nach freieren Bahnen streben, so hat er mit seinem letzten Werke unverholen die Erbschaft Liszt’s und Wagner’s angetreten. In seinem »Don Juan« ist Strauß durch Lenau’s gleichnamiges dramatisches Gedicht inspirirt worden, von welchem er einige Strophen seiner symphonischen Dichtung als »Programm« beigegeben hat. Das stürmische, wohl den zwingenden sinnlichen Trieb des Helden schillernde Motiv, mit dem das Werk beginnt, kehrt in Zwischenräumen wieder und umschließt dergestalt verschiedene ungleichartige, in wechselvoller musikalischer Charakteristik ausgestaltete Liebesepisoden. In fast überstürzender Folge zusammengefaßt, bieten deren Themen schließlich dem Komponisten, dem Gedankengang der Dichtung folgend – »hinaus und fort nach immer neuen Siegen« – Veranlassung zu eiener grandiosen Steigerung, auf welche mit bestimmter Berechnung der Wirkung schroffer musikalischer Gegensätze unvermittelt der kurze düstere Schluß folgt. Man müßte den alten Streit über die Programmmusik überhaupt aufs Neue heraufbeschwören, ohne dem Ziele dadurch näher zu kommen, wollte man immer noch über ihre Berechtigung streiten. Unter ihren Nachtheilen leidet auch die neueste Schöpfung Strauß’ und dies um so mehr, als in ihr die Konsequenzen der Gattung und die Realistik der Ausdrucksmittel bis an die äußersten Grenzen gezogen und angewendet sind. Zersplittert sich das sich das »Programm« in Einzelheiten, hat die Musik nur umschriebene seelische Empfindungen zu schildern, so wird sie um so weniger auf das zu ihrer Wirkung doch immer vorauszusehende Verständniß mit Sicherheit rechnen können, als musikalische Eindrücke, falls diese nicht wie beim Gesang an bestimmte Worte gebunden sind, nur nach dem jeweiligen grundverschiedenen subjektiven Fassungsvermögen Derjenigen aufgenommen werden können, deren Gesammtheit den Begriff »Publikum« bietet. Musikalische Räthsel rathen ist aber nicht Jedermanns Sache. Die Schilderungen eines Gewitters durch Pauken und Piccolo werden Alle verstehen, daß sich aber der Hörer, der genießen und genießend mitthätig sein will, erst den Kopf darüber zerbrechen soll, was Becken und Glockenspiel, das hier als Instrument zum Theil selbstständige Verwendung findet, Tuben und dröhnende Paukenwirbel in der Schilderung von Liebesabenteuern bedeuten sollen, kann man auch von den Willfähigen nicht verlangen. Der Komponist wird sich daher auch nicht wundern können, wenn sein Werk gestern bei einem großen Theile der Hörer unverstanden blieb; was er ist und kann, hat er gleichwohl wieder glänzend gezeigt. Seinen Stoff scheint er mit Leidenschaft erfaßt zu haben, denn er schildert ihn in glühenden Farben. Die selbst geschaffene, dem Stoff logisch sich anschließende Form füllte er mit energischem musikalischen Inhalt; meisterlich ist auch die thematische Arbeit. Der für das schwer eingängliche Werk empfänglichen Hörer waren immerhin genug vorhanden, um einen günstigen äußeren Erfolge herbeizuführen und den Komponisten mehrere Male hervorzurufen. Unter seiner Leitung überwand unser treffliches Orchester die zum Theil enormen technischen und rythmischen Schwierigkeiten mit erstaunlicher Bravour. Wir hoffen dem Komponisten bald wieder und mit einem Werke zu begegnen, das nicht so viel »Programm«, dafür aber desto mehr absolute Musik enthält. – Nächst der Novität erweckte das meiste Interesse der einzige Solist des Abends, Herr Professor Jenö Hubay aus Budapest, der den ihm vorausgegangenen Ruf als Geiger ersten Ranges in dem Violinconcert op. 37 (A-moll) von Vieuxtemps, einem Air von Bach-Wilhelmy und zwei ansprechenden Stückchen eigener Komposition (»Blumenreigen« und »Zephir« aus dem Cyclus Blumenleben) glänzend rechtfertigte In seinen außerordentlichen technischen Eigenschaften ist er den besten seiner geigenden Kollegen ebenbürtig, an Fülle und Schönheit des Tones übertrifft er viele derselben. Herr Hubay fand stürmischen Beifall und mußte sich zu einer Zugabe entschließen. Die übrigen Vorkommnisse des Concertes bestanden aus der Symphonie in Es-dur von Mozart (Köchel Nr. 513), der zierlichen aber herzlich unschuldigen »Frühlingsbotschaft« von Gade, dem »Gesang der Parzen« von Brahms und der Goethe gewidmeten, in ihrem ersten Theil wunderbar stimmungsvollen, in ihrem zweiten Theile aber, wie es scheint, dem bekannten musikalischen Geschmack des Dichters zuliebe eigens verwässerten »Meeresstille und Glückliche Fahrt« op. 112 von Beethoven. Bei den letztgenannten, mit gewohnter Glätte ausgeführten Stücken wirkte ein Theil der Mitglieder des Cäcilienvereins in bekannter, sehr verdienstlicher Weise mit. An Stelle des Parzengesanges hätten wir der Abwechslung halber gerne einmal die zur Zeit überall gesungenen »Festgespräche« von Brahms gehört.
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F. S.
[ohne Titel]
in: Frankfurter Zeitung und Handelsblatt, Jg. 34, Heft 60, Samstag, 1. März 1890, Abendblatt, Rubrik »Feuilleton / Aus Kunst und Leben«, S. 2
relevant für die veröffentlichten Bände: III/5 Don Juan
Frankfurt a. M., 1. März 1890.
[Erstes Museums-Concert.]