[unbekannt]
[ohne Titel]
in: Frankfurter Zeitung und Handelsblatt, Jg. 33, Heft 181, Sonntag, 30. Juni 1889, Zweites Morgenblatt, Rubrik »Feuilleton Aus Kunst und Leben«, S. 1

relevant für die veröffentlichten Bände: III/3 Aus Italien
[…]
[Tonkünstler-Versammlung.]

Aus Wiesbaden wird uns unterm 28. ds. berichtet: Im weißen Saale des Kurhauses fand heute Vormittag das zweite Concert (Kammermusik-Aufführung) des »Allg. deutschen Musiker-Vereins« statt. Die Hauptnummern des Programms bestanden aus dem Streichquartett (e moll) von Verdi, der dritten Violinsonate (d moll) von Brahms und dem Klavierquintett (a dur) von A. Dvorak. In diesen Werken thaten sich besonders die Herren Prof. H. Heermann, Naret-Koning, E. Welker und B. Müller aus Frankfurt hervor. Das Ensemble war geradezu musterhaft und der fein nuancirte Vortrag konnte die verwöhnten Ansprüche befriedigen. Nach der Ausführung des dritten Satzes des Quartetts von Verdi, einer reizvollen und melodiösen Komposition, war der Beifall ein so anhaltender, daß sich die Künstler zur Wiederholung des Satzes entschließen mußten. Frl. von Schéhafzoff, welche sich an der Aufführung des Quintetts von Dvorak betheiligte, ist eine mit allen Mitteln moderner Klaviertechnik ausgestattete Pianistin, der auch Wärme des Vortrags nicht abzusprechen ist; übrigens scheint sie sich auf dem Gebiete der Kammermusik nicht in ihrem eigentlichen Fahrwasser zu befinden. Herr Busoni (Helsingfors) hatte sich zur Ausführung der Violinsonate von Brahms mit Herrn H. Heermann verbunden; beide Künstler boten eine abgerundete Leistung. Herr Herrmann imponirte durch sein gefühlvolles Spiel, verbunden mit wohlthuender Ruhe und Sicherheit; Herr Busoni vor allem durch seine geglättete Klaviertechnik. Um eine Abwechslung in das Programm zu bringen, hatte der Vorstand noch für den vokalen Theil Fräulein R. Olfenius von hier und Herrn B. Hoffmann aus Köln zugezogen. Erstere sang mit wohlklingender Altstimme, doch temperamentlosem Vortrag einige ziemlich unbedeutende Lieder, während der letztere eine wirkungsvolle Ballade für Bariton »Ritter Olaf« von F. Dräseke stimmungsvoll und mit glänzenden Mitteln zu Gehör brachte. Das heute Abend stattgehabte dritte Concert hatte sich eines zahlreicheren Besuchs als das erste zu erfreuen. Am Dirigentenpulte standen wiederum Rich. Strauß sowie Rudorff und B. Stavenhagen (Berlin). Das Concert währte in der Dauer von beinahe 4 Stunden entschieden viel zu lang. Als erste Nummer war die »Italienische Fantasie« hier für Orchester von Strauß festgesetzt. Strauß steht in dieser seiner neusten Komposition, im Gegensatz zu seinen letzteren Werken, vollständig auf dem Boden der Tondichtungen Liszt’s und Berlioz’. Am meisten sprachen die 3 ersten Sätze an, während der letzte: »Neapolitanisches Volksleben« es zu keiner rechten Wirkung zu bringen vermochte. Die Ausführung des Werkes durch die hiesige Kurkapelle mit dem Komponisten an der Spitze war eine sorgfältig vorbereitete und dynamisch reich schattirte. An Orchesterwerken brachte uns der Abend noch »Variationen« von Rudorff und 2 Stücke von Bird. Als Instrumentalisten waren die Pianistin Marg. Stern (Dresden) und der Cellovirtuose Prof. A. Schröder (Leipzig) gewonnen. Frau Stern spielte Brahm’s II. Clavierconcert. Die Dame schien nicht besonders gut disponirt zu sein; Herr Schröder genießt in der Kunstwelt schon längst den Ruf eines ganz ausgezeichneten Cellisten. Wir dürfen uns diesem Urtheil bedinungslos anschließen. Als Vocalsolistin betheiligten sich Frl. Marianne Brandt, Frl. Denis, Großh. sächsische Hofopernsängerin, Herr Hans Gießen (Weimar) und Herr A. Ruffeni, Königl. Opernsänger (Wiesbaden). Die Palme gebührt unstreitig Frl. M. Brandt. Wenn sie auch nicht mehr über die glanzvollen Stimmmittel verfügt, so versteht sie aber doch durch die Art und Weise ihres vollendeten Vortrags die Zuhörer mit fortzureißen. Sie sang Liszt’s dramatische Scene: »Jeanne d’Arc vor dem Scheiterhaufen.« Fräulein Denis hatte eine Komposition B. Stavenhagens »Suleisa« gewählt. Diese Wahl war keine besonders glückliche; durch die stellenweise hohe Lage der Singstimme in dem Werk war Frl. Denis gezwungen, ihre Stimme zu forciren, wodurch die an und für sich sehr hübschen Mittel an freier Entfaltung gehindert waren. Zum Vortrag eines Terzetts aus der Oper »Gunlod« von P. Cornelius vereinigten sich Frl. Denis, die Herren Gießen und Ruffeni. Dieses Bruchstück der Oper ist dramatisch sehr wirksam und gehört mit zu dem Besten, was der leider zu früh verstorbene Komponist der Nachwelt hinterlassen hat. Die Ausführung war keine tadellose zu nennen und hätte viel sorgfältiger vorbereitet sein müssen.

verantwortlich für die Edition dieses Dokuments: Stefan Schenk

Zitierempfehlung

Richard Strauss Werke. Kritische Ausgabe – Online-Plattform, richard‑strauss‑ausgabe.de/b44048 (Version 2021‑04‑12).

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