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Im vierten Concert es Lisztvereins in der Alberthalle brachte Herr Hofcapellmeister Richard Strauß aus München, der wie wiederholt in den Vorjahren, auch jetzt mit unverkennbarem Feuereifer die Leitung eines Abends übernommen hatte, von sich mehrere Compositionen zu Gehör und erntete dafür stürmischen Beifall und wiederholten Hervorruf nebst Kranz mit breiter Schleife. Aus seiner bis jetzt nur in Weimar und München zur Aufführung gebrachten Oper »Guntram« (zwei Vorspiele daraus sind unserer Hörerschaft schon seit einiger Zeit bekannt) hatte er ausgewählt die »Friedenserzählung« (aus dem 3. Act); Herr Hofopernsänger Zeller aus Weimar brachte in ihr, indem er seinen früher oft von mancherlei technischen Mißständen heimgesuchten Stimmmitteln die günstigen Seiten abgewann, seine Ausdruckskraft zu ebenso erfreulicher Geltung wie in drei R. Strauß’schen Liedern, von denen das reizvolle, fein pointirte »Ständchen« (vom Componisten elastisch begleitet) so außerordentlich wie früher bereits gefiel, daß es auf kaum zu beschwichtigenden Beifall hin wiederholt werden mußte, während Mackay’s »Heimliche Aufforderung« ziemlich kalt ließ und das vielbegehrte Gilm’sche »Am Allerseelen« nicht das bot, was weichgeschaffene Backfischseelchen von der Melodie erwartet hatten.
Das umfangreichste Orchesterwerk des Abends: »Aus Italien« von Richard Strauß fand Dank einer im Großen und Ganzen schwungvollen und wirksamen Wiedergabe durch das mit der Capelle der 134er verschmolzene Winderstein’sche Orchester eine ehrende Aufnahme. Obgleich sich das Ganze nennt »symphonische Phantasie«, so ist es doch im Zuschnitt der einzelnen Sätze keineswegs weit entfernt von dem altbewährten Schema der Ueberlieferung; in jedem Abschnitt: »Auf der Campagna«, wie »in Roms Ruinen«, »Am Strande von Sorrent«, »neapolitanisches Volksleben« trifft man irgend eine Ueberraschung, sei es nun nach melodischer, harmonischer oder rhythmischer und instrumentaler Richtung; schade nur, daß trotz so mancher schönen, frappirenden Einzelheit es nirgends zu einem rechten, unbedingt mit sich fortreißenden Gesammteindruck kommen will. Daran trägt die Sucht, das Kleinste bis in die aschgraueste Möglichkeit auszuspinnen, die Hauptschuld, und diese Breitspurigkeit, der stärkste Feind aller auf epigrammatische Bestimmtheit zudrängenden Symphonik, wird vom Hörer um so peinlicher empfunden, als er mit Wohlgefallen bei so manchem schönen, vielversprechenden Anlauf der Composition verweilte.
Ueber der »Friedenserzählung« schwebt der Geist jener großen Monologe, wie sie seit Wagner’s »Tannhäuser«, »Lohengrin«, »Siegfried« etc. auf der Bühne heimlich geworden. Ohne diese herrlichen Muster hätten wir wohl vergeblich warten können auf eine Rich. Strauß’sche »Friedenserzählung«, die an die Singstimme wie an das Orchester die stärksten Zumuthungen stellt.
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