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Otto Leßmann
»Aus München«
in: Neue Zeitschrift für Musik. Organ des Allgemeinen Deutschen Musikvereins, Bd. 83, Jg. 54, Heft 17, Mittwoch, 27. April 1887, S. 184

relevant für die veröffentlichten Bände: III/3 Aus Italien
Aus München.

Unsere zweite Concertsaison wurde eröffnet durch die musikalische Academie mit dem am 2. März stattgehabten ersten Abonnements-Concert. Es kamen hierbei zur Aufführung: die Overture zu »Der Widerspänstigen Zähmung«, op. 18 von Rheinberger, Symphonische Phantasie »Aus Italien« von Richard Strauß, einige Lieder von Schubert und Beethoven’s vierte Symphonie in Bdur. Rheinberger’s Overture fesselt durch die Frische und Originalität der Gedanken sowohl, als durch die große Kunst in der »Mache«. Die Wirkung auf die Hörer war eine zündende, und stürmisch wurde der im Concertsaal anwesende Componist vor die Rampe gerufen. Diese Einhelligkeit im Urtheile war aber nicht mehr vorhanden bei und nach der Vorführung der Symphonischen Phantasie von Rich. Strauß. Es regte sich eine ziemliche Opposition, und wir hatten im Kleinen ein Bild des deutschen Reichstages; die Männer des Centrums (hier die in der Wolle gefärbten Classiker) schüttelten bedenklich das Haupt, enthielten sich aber nicht der Abstimmung, sondern votirten mit nein! während die liberale Fraction ein freudiges ja! abgab und dem jugendlichen Componisten zujubelte. Mir scheint, die letzteren hatten die richtigere Erkenntniß, indem sie die Sache nahmen als das, was der Titel besagt: als Phantasie, in die äußere Form einer Symphonie gebracht; die ersteren hingegen verlangten eine Symphonie nach strengem Begriff, und das fanden sie freilich nicht. Eine Phantasie ist dies »Aus Italien« mit einem bestimmten Programme (das im 2. Satze namentlich noch etwas bestimmter hätte angegeben werden können), die sich gliedert in die üblichen vier Sätze der Symphonie; eine Phantasie von einem Tonkünstler, dem in der That eine blühende Phantasie innewohnt und der im Stande ist, seine Phantasiegebilde mit den glühendsten Farben zu malen. Daß man hier und da den Zügel wünscht, ist jedenfalls besser, als wenn man das Gefühl hätte, es wäre der Sporn am Platze. Die nöthigte Abklärung wird noch kommen, und es unterliegt kaum einem Zweifel, daß ein solches Talent noch Großes und Bleibendes schaffen werde. – Die vier Sätze betiteln sich: »Auf der Campagna« (Andante), »In Roms Ruinen« (Allegro con brio), »Am Strande von Sorrent« (Andante), »Neapolitanisches Volksleben« (Allegro molto). Hiervon darf der erste Satz als der gelungenste bezeichnet werden. Farbenreiche Orchestrierung und originelle Harmoniefolgen verbinden sich zu einem eindringlichen Stimmungsbilde, das sich deckt mit den Eindrücken, welche wir empfangen durch den Anblick einer weiten, im heißen Sonnenlichte erglühenden und schmachtenden Landschaft. Und das in so natürlicher und verständlicher Weise, daß jeder gebildete Hörer dem Componisten nachzuempfinden im Stande ist, ohne daß erst eine große Interpretirungskunst nachzuhelfen hat. Aehnliches läßt sich vom 3. und 4. Satze sagen, während ein Zusammenhang zwischen der Ueberschrift des zweiten Satzes und der Musik nicht sofort sich wird herausfinden lassen. Hier würde ein detailliertes, wenn auch ganz kurzes Programm zum besseren Verständnis nicht unwesentlich beitragen; vielleicht entschließt sich der Componist hierzu. Strauß leitete die Ausführung seines Werkes selbst und erwies sich zugleich als ein gewandter, schneidiger Dirigent, der seine Schule bei Bülow nicht ohne Vortheil durchgemacht hat. – […]

Bemerkung

Otto Leßmann wurde identifiziert von Mark-Daniel Schmid: The Tone Poems of Richard Strauss and Their Reception History from 1887–1908, Ann Arbor 1997, S. 55. Dank an Walter Werbeck für diesen Hinweis.

verantwortlich für die Edition dieses Dokuments: Stefan Schenk

Zitierempfehlung

Richard Strauss Werke. Kritische Ausgabe – Online-Plattform, richard‑strauss‑ausgabe.de/b44035 (Version 2021‑04‑12).

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