Sie betrachten gerade die aktuelle Version 2018-01-26 dieses Dokuments.

Droop, Fritz
»Richard Strauss dirigiert im zweiten Jubiläumskonzert des Mannheimer Nationaltheater-Orchesters«
in: Dortmunder Zeitung, Montag, 11. November 1929

relevant für die veröffentlichten Bände: III/5 Don Juan
Richard Strauß dirigiert im zweiten Jubiläumskonzert des Mannheimer Nationaltheater-Orchesters

Vor kurzem feierte Dr. Richard Strauß in Ludwigshafen mit dem Pfalzorchester einen großen Triumph, nun stand der größte Tondichter der Gegenwart vor dem Orchester des Mannheimer Nationaltheater; es war wieder ein Krönungsfest der deutschen Musik, und der Musensaal, voller denn je, widerhallte von rauschenden Beifallstürmen.

Hatte Strauß in der Pfalz seine beiden populärsten Tondichtungen »Tod und Verklärung« und »Till Eugenspiegels lustige Streiche« dirigiert, so wartete er hier mit seinen beiden »modernsten« Orchesterwerken, dem »Don Juan« und dem »Heldenleben«, auf. Voran ging als kostbare Erinnerung an die erste Schaffenszeit des Meisters die Tondichtung »Don Juan« (op. 20), die ihre Anregung dem gleichnamigen Gedicht von Lenau verdankt und sich die pessimistisch-weiche Grundnote des Lyrikers zu eigen gemacht hat. Nur ein paarmal läßt der Komponist die eigenen Feuerpulse fühlen. In den wahrhaft phantastischen Variationen (op. 35), die den Namen des närrischen Ritters »Don Quichote« tragen, gewinnt die Farbenpracht der Orchesterpalette ihren vorher nie geahnten und nachher nicht wieder erreichten Höhepunkt. In der genial gestalteten Humoreske, die sich uns in der Attacke gegen die Windmühlen, den grotesken Zwiegesprächen des klapprigen Helden und seinem feisten Knappen Sancho Pansa, in der Begegnung mit der falschen Dulci[n]ea, in dem Ritt durch die Wollen und dem Zweikampf mit dem »Ritter vom blanken Monde« offenbart, hat Richard Strauß den modernen Neutönern (schon vor zwanzig Jahren!) die kühnsten Harmonien vorweggenommen, ohne daß die Klangreize der Instrumentation zu sinnlosen Kakophonien mißbraucht würden, wie es nach ihm geschah. Den tollsten Kontrapunkt liefert das Publikum, das diese Einfälle dionysischer Schöpferlaune mit toternsten Gesichtern verfolgt, ohne ihre grandiose Komik zu erkennen… Das Orchester spielte mit freudigster Hingebung, an seiner Spitze Konzertmeister Carl Müller als glänzender Interpret der überaus heiklen Cellosoli, in denen sich die ganze rhythmische Kompliziertheit der Variationen spiegelt. Angesichts der orgiastischen Klangreize dieser Tongebilde empfand man wieder einmal, wie nahe die Straußschen Partituren manchen jüngeren Komponisten gelegen haben, die gleichwohl auf ihren Meister schimpfen, weil sie ihm nicht auch den Blutnerv zu stehlen vermochten… Und wie ruhig stand Richard Strauß seinem unruhvollen »Don Quichote« als Dirigent gegenüber! Sollte nicht doch bald eine Art Götzendämmerung beginnen, damit jene Akrobaten vom Pult verschwinden, die nur sich selbst als Paradepferd aufzäumen, damit Herr und Frau Schulze nur noch von ihnen, nie mehr von Beethoven und Mozart, Wagner und Bruckner reden. An der hoheitsvollen Geste von Richard Strauß könnten die Veitstänzer am Pult genesen,

»Wenn er Blitz und Donner mit leichter Hand
Heraufbeschwört und wieder bannt…«

Die symphonische Dichtung »Ein Heldenleben« (op. 40) krönte den festlichen Abend. Das Werk, das schon 1899 entstanden ist unter der Leitung seines Schöpfers und bald darauf in Frankfurt das neue Jahrhundert begrüßte, beweist der neuen Generation immer wieder, was alles sie dem hundertmal gekreuzigten Dreiklang und der tausendfach geschmähten Kadenz noch schuldig geblieben war, als sie glaubte, in ihrer atonalen Verwirrung mit diesen »veralteten« Mitteln aufräumen zu müssen. Wie majestätisch schreitet der Held durch diese Partitur, wie belustigend wirkt das Gekreisch der »Widersacher«, die bald in den nasalen Dissonanzen der gestopften Hörner, bald in dem Gezeter der keifenden Holzblasinstrumente als »Straußenjäger« an den Pranger müssen! Der Held schießt üppig grün und gelb ins Kraut; aber der Meister lacht jener Zeitgenossen, die ja schließlich nur das Schergenamt der Musikgeschichte zu vollziehen haben, das auch dem Schöpfer der »Eroica« das Leben verbitterte…

Mit melodieerfüllter Seele naht dem Helden die Gefährtin zu gläubiger Gemeinschaft; die Zeit der Tat ist da und, von der Schutzgöttin beschirmt, stürmt der Erkorene auf die »Walstatt«: ein Siegeshymnus überstrahlt die Stätte seiner Arbeit, die Arena des Kampfes. In blitzartigen Bildern zieht das Schaffen des Meisters an uns vorüber und wir vernehmen (in genialer Kontrapunktik der Motive) Zitate aus »Don Juan« und »Zarathustra«, »Eulenspiegel« und »Don Quichote«, »Macbeth« und »Tod und Verklärung«, bis uns eines seiner Lieder: »Traum durch die Dämmerung«, in elegische Gärten entführt. Dann aber reißt es den Helden von neuem über sich selbst empor: er flieht die Welt, um sein erhabenes Werk zu vollenden; in der Natur findet er friedvolle Ruhe, und die ewigen Sterne bringen ihm Trost nach hartem Waffengang. Der Mensch ist wieder ganz in sich daheim; der laute Kampf verhallt unter dem segnenden Licht des nächtlichen Firmaments.

Unsere vortrefflichen Musiker schwelgten geradezu in den Farben der Partitur und breiteten um den Schöpfer all dieser Herrlichkeiten einen Strahlenkranz, der die Begeisterung des Publikums zu höchsten Graden steigerte. Die Bläser aller Gattungen haben im Heldenleben ihr großes Examen abzulegen; jeder von ihnen zeigte gestern, daß er seinen Meisterbrief in der Tasche hatte. So wurde ein märchenhafter orchestraler Glanz entfaltet. Die Streicher schickten ihren Konzertmeister Max Kergl vor; mit überlegener Künstlerschaft bewältigte der feinnervige Musiker den schwierigen Geigenpart, der mehr in sich birgt als manches ausgewachsene Violinkonzert. In der 150jährigen Geschichte der Mannheimer »Musikalischen Akademie« steht der festliche Tag mit einem dreifachen Stern. Die noch jung sind, mögen sich am Tage der Zweihundertjahrfeier des Orchesters der Stunde erinnern, da der größte Komponist seit Wagner vor ihnen stand. Der gestrige Abend gehört der Geschichte an; wir sind seines Glanzes Zeuge gewesen.

verantwortlich für die Edition dieses Dokuments: Stefan Schenk

Zitierempfehlung

Richard Strauss Werke. Kritische Ausgabe – Online-Plattform, richard‑strauss‑ausgabe.de/b43916 (Version 2018‑01‑26).

Versionsgeschichte (Permalinks)