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»Richard Strauß dirigiert«
in: Ostpreussische Zeitung, September 1927

relevant für die veröffentlichten Bände: III/5 Don Juan
Richard Strauß dirigiert.

Ein großer Tag im Königsberger Musikleben, den das Publikum in seiner Bedeutung zu würdigen verstand. Der große Saal der Stadthalle war bis auf den letzten Stehplatz ausverkauft. Als Meister Richard Strauß das Podium betrat umbrauste ihn schon anhaltender Jubel. Er erscheint bei uns zum ersten Mal als Dirigent und doch kennt ihn jeder Musikfreund. Seine Hauptopern sind bereits Allgemeingut unseres Volkes geworden. Wir dürfen ihn da in gewissem Sinne als den Erben Mozarts betrachten.

Strauß am Dirigentenpult ist, wenn man von der Einmaligkeit seines Erscheines absieht, keineswegs eine interessante Erscheinung. Er verzichtet auf alle Pose, auf alles, was die Dirigenten für das liebe Publikum tun. Bei Strauß gibt es lediglich Zweckbewegungen, er stellt sie ausschließlich in den Dienst des Kunstwerks. Die Gesten sind überhaupt auf ein Minimum beschränkt. Wenn er einen Finger hebt oder einer Instrumentengruppe einen Blick zuwirft, geht schon etwas besonderes vor. Nirgends läßt er sich vom Affekt überwältigen, in allem äußert sich die restlose Ueberlegenheit, die Abgeklärtheit des Künstlers, dessen Zeichengebung von nicht zu überbietender Eindeutigkeit ist. Der bald 64jährige macht auf dem Podium einen geradezu jugendlichen Eindruck. Wäre es nicht Richard Strauß, könnte man die unbedingte Ueberlegenheit, die sich in den zwar etwas unbeholfen aussehenden, aber doch so präzisen – fast möchte man sagen Andeutungen äußerlich verrät, für Uninteressiertheiten halten. Aber wer das Glück hatte, den Meister auch nur wenige Minuten bei der Probenarbeit zu sehen, weiß wie stark er innerlich beteiligt ist. Er ist ein Dirigent, dem nichts entgeht, der sein Idealbild von den eigenen Werken mittels prägnanter praktischer Anweisungen rasch zu erwirklichen weiß.

Die selten gespielte Sinfonia domestica löste schon endlose Beifallsstürme aus. Sie ist ein Werk, das in der gesamten Kulturwelt ungeteiltes Vergnügen hervorgerufen hat. Das Programm ist ein Tag aus dem Familienleben, das bis in Einzelheiten geschildert sein soll. Ich sage »soll«, weil ich mich um das Programm noch nicht gekümmert habe, denn von einem sinfonischen Werk muß man verlangen, daß es aus sich heraus verständlich ist, sonst gehört es eben nicht zur Musik. Und die Sinfonia domestica ist auch ohne Programm eine herrliche Schöpfung. Was zu ihrer Entstehung als Kühnheit erschien, die harmonische Ausgestaltung, die artistisch-vollkommene Instrumentierung, wirkt auf uns heute anders. In dem unmittelbaren musikalischen Eindruck, der aus der Form und dem musikalischen Einfall resultiert, ist das Werk noch in nichts verblaßt. Strauß besitzt zwar nicht die Selbstzucht, wie wir sie von einem Beethoven gewöhnt sind, weder in formaler Hinsicht noch in bezug auf die Auslese des Themenmaterials. Manche störende Triv[i]alität unterläuft ihm, er kommt leicht aus dem Hundertsten ins Tausendste, eine formale Zerfahrenheit spricht häufig daraus. Trotzdem die Straußschen Tondichtungen nicht das besitzen, was man als Ewigkeitswert zu bezeichnen pflegt, verfehlen sie ihre Publikumswirkung nie.

Das wirksamste sinfonische Werk des Meisters ist der »Don Juan«. Ungewöhnlich strahlende Themen sind in großzügiger Weise verarbeitet. Die ganze Musik atmet eine Glut, eine Sinnlichkeit und ist von einer Farbenpracht, die bei den deutschen Musikern selten ist. Strauß steigerte die Wiedergabe in glänzendster Weise. Er enthielt sich jeglicher Verzerrung des Tempos, die man sonst fast immer zu gewärtigen hat. Und die Interpretation des Komponisten sollte doch eigentlich maßgebend sein. – Den Beschluß bildete »Tod und Verklärung«, ein schwächeres Werk als »Don Juan«, das fast nur auf äußerliche Wirkung gestellt ist. Die Begeisterung der Hörerschaft kannte keine Grenzen. Viele Mal mußte der Meister auf dem Podium erscheinen. Unser Orchester hat sich sehr tapfer gehalten. Mit nur einer Probe sind die recht schwierigen Tondichtungen herausgebracht und es verdient unbedingte Anerkennung, daß es ohne wesentliches Schnitzer geschah. Das Konzert trug einen Ausnahmecharakter, es wird den vielen Besuchern unvergeßlich bleiben.

verantwortlich für die Edition dieses Dokuments: Stefan Schenk

Zitierempfehlung

Richard Strauss Werke. Kritische Ausgabe – Online-Plattform, richard‑strauss‑ausgabe.de/b43914 (Version 2018‑01‑26).

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