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in: Musikalisches Wochenblatt. Organ für Musiker und Musikfreunde, Bd. 46, Jg. 23, Donnerstag, 10. November 1892, Rubrik »Tagesgeschichte / Bericht«, S. 566–567

relevant für die veröffentlichten Bände: III/4 Macbeth
Leipzig.

Der Liszt‑Verein, welcher sich zu einem mächtigen Factor des hiesigen Musiklebens herausgebildet hat, hielt am 29. Oct. sein 1. Orchesterconcert ab und gab demselben den Charakter einer Nachfeier des goldenen Hochzeitstags des Grossherzogs Carl Alexander von Sachsen‑Weimar, des hohen Protectors des Vereins, auf welches Verhältniss der das Concert einleitende, von Frau Wiecke‑Halberstadt aus Weimar gesprochene Prolog von Crome‑Schwiening Bezug nahm. Die unter Leitung des Hrn. R. Strauss aus Weimar stehenden musikalischen Darbietungen setzten sich aus des Genannten symphonischer Dichtung »Macbeth«, der Faust‑Symphonie von Liszt und Solonummern der Frau Reuss‑Belce aus Carlsruhe (Gesang) und unseres Violoncellmeisters Klengel zusammen. Den Hauptstock des Orchesters bildete wieder, wie die früheren Male, die treffliche Capelle des 134. Infanterie‑Regiments, in der Faust‑Symphonie wirkten die Leipziger Liedertafel, der Tenorist Hr. Merkel von hier und ein ungen. Organist mit. Dass Hr. Hofcapellmeister Strauss ein sicher die Massen beherrschender und feuriger Dirigent ist, bewies die schwungvolle Ausführung des Liszt’schen Werkes, der eine feinere Detailausarbeitung wohl nur infolge unzureichender Einstudirung, wie Ueberanstrengung der Musiker, deren freie Zeit in jenen Tagen bereits durch die Proben zum 1. Akademischen Concert stark ausgefüllt war, abging. Der Schluss der grandiosen Composition gelangte auf Grund der in mangelhafter Verfassung befindlichen und deshalb die rechte Unterstützung versagenden Orgel leider nicht zu der ihm inne wohnenden grandiosen Wirkung. Richard Strauss’ »Macbeth« hatten wir vor. Winter bereits unter Direction des Componisten in Berlin, vom Philharmonischen Orchester virtuos ausgeführt, gehört; die neueste Begegnung hat unsere damals gefasste Meinung, dass dieses Opus trotz einiger schwachen Lichtblicke, welche aus den Werken anderer Componisten reflectiren, Eines der klanghässlichsten Erzeugnisse ist, die wir kennen. Dasselbe artet nach unserer Ansicht zum grossen Theil zu wüstem Lärm aus, bei dem es schliesslich gar nicht mehr darauf ankommt, ob die Ausführenden Das, was in ihren Stimmen steht, oder etwas beliebiges Anderes spielen. Wenn derartige Evolutionen eine Steigerung des musikalischen Ausdrucksvermögens bedeuten sollen, so ist die musikalische Kunst auf dem besten Wege, in das vollständige Tonchaos einzumünden. Und nach dem Beifall, welcher diesem, zum Theil ganz entsetzlichen Spektakel folgte, scheint diese Gefahr gar nicht so fern zu liegen. Als Componist hat dies Hr. Strauss allein zu verantworten, zu protestiren ist aber ernstlich gegen die Pietätlosigkeit, mit welcher er später die Clavierbegleitung Franz’scher Lieder mit eigenen Zuthaten schädigte. Frau Reuss‑Belce sang ausser denselben (»Widmung« und »Abends«) noch Scene und Arie (»Die Griechen sind entflohn« aus Berlioz’ »Trojanern«), sowie die weiteren Lieder »Ich liebe dich« von Liszt und »Sommerabend« von Lassen, Alles mit fülligem und folgsamem Organ und intelligenter, warmer Auffassung. Dass sie das Verlangen nach einer Zugabe durch Wiederholung des wenig vornehmen Lassen’schen Liedes befriedigte, war wohl nicht nach Aller Geschmack. Den Haupterfolg des Abends hatte Hr. Klengel mit seinen Vorträgen (3. Concert von Davidoff, Romanze von Volkmann, Variations capriccieuses eigner Composition und als Zugabe Spinnerlied von Popper), die allerdings wieder einzig in ihrer Art dastanden. Liegt es in den Tendenzen des Liszt‑Vereins mit, die Virtuosität, wie sie auf dem Clavier Liszt zu der höchsten Vollkommenheit ge[567]führt hat, auch auf anderen Instrumenten in seinen Concerten vorzuführen, so hatte er bezüglich des Violoncells in Hrn. Klengel den Künstler gewonnen, welcher hierbei einzig und allein in Frage kommen konnte. Dass die phänomenale technische Seite der Vorträge des Hrn. Klengel nur einen Theil der eminenten Künstlerschaft desselben bildet, brauchen wir nicht von Neuem zu betonen.

[…]

verantwortlich für die Edition dieses Dokuments: Stefan Schenk

Zitierempfehlung

Richard Strauss Werke. Kritische Ausgabe – Online-Plattform, richard‑strauss‑ausgabe.de/b43312 (Version 2017‑03‑31).

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