(Fortsetzung.)
Von den Philharmonischen Concerten haben bisher, während wir dieses schreiben, sechs stattgefunden, drei derselben wurden von uns bereits besprochen. Das vierte brachte nichts Neues: Mendelssohn’s A moll-Symphonie und die unvollendete von Schubert in H moll, dazwischen Grieg’s »Peer Gynt«-Suite, welche wie voriges Jahr lebhaftesten Beifall fand. Nicht ganz nach Gebühr gewürdigt wurde dagegen die interessante Novität des fünften Concertes: Rich. Strauss’ farbenprächtige orchestrale Nachdichtung des Lenau’schen »Don Juan«. Die stark conservativ gesinnte Majorität des Publicums der Philharmoniker schien offenbar nicht zu wissen, was es mit diesen üppigen Klängen anfangen solle, ein Theil der Kritik erging sich in billigen Spöttereien. Dass R. Strauss die gewählte Aufgabe mit künstlerischem Ernst und grosser Formgewandtheit löste, darüber dürfte unter nicht voreingenommenen Fachkennern kaum ein Streit entstehen, desgleichen nicht über die ausserordentliche tonmalerische Kraft des Componisten, sich offenbarend in einer Meisterschaft der Orchestration, welche jener Nicodé’s, des Verherrlichers des Meeres, an die Seite zu stellen. Einen bedeutenden thematischen Kern, eine individuelle tondichterische Physiognomie vermochten allerdings auch wir wenigstens aufs erste Mal Hören nicht aus dem coloristisch so überaus merkwürdigen Stück herauszufinden. Leider ist zu einer Reprise der Aufführung, welche unser Urtheil über diesen »Don Juan« klären könnte, vorderhand wenig Aussicht. Inzwischen ist Rich. Strauss hier noch mit zwei völlig anders gestalteten Compositionen zu Gehör gekommen: einem nach Seite der Erfindung ziemlich unscheinbaren, aber für den Spieler dankbaren Hornconcert Op. 11, das ein junger Künstler, Hr. L. Savart, sehr schön blies, und einem Clavierquartett (C moll, Op. 13), das von Geist sprühend, aber auch von musikalischen Bizarrerieen, unvermutheten Rückungen u. dgl. wimmelnd, in Bernhard Stavenhagen den rechten nachempfindenden und meistergewandten Interpreten am Clavier und in den HH. Rosé, Bachrich und Hummer dem Pianisten ebenbürtige Begleiter fand. Das sich stellenweise einer wahrhaft dämonischen Laune überlassende, dann wieder spitzfindig ausgeklügelte Stück, welches höchstes Interesse erregte, kam an einem ausserordentlichen Kammermusikabend des Quartetts Rosé zur für Wien ersten Aufführung. Am meisten überraschte und gefiel das unerschöpfliche Koboldtreiben des Scherzos, ein Satz, der sich schlechterdings nicht beschreiben lässt, er will eben gehört sein: wir glauben, hätte Berlioz Kammermusik geschrieben, er wäre auf ähnliche Pikanterien verfallen, wie sie uns im Scherzo des Strauss’schen Clavierquartetts reizen und verblüffen. Stürmischen Beifall erreigte an demselben Quartettabend auch wieder Brahms’ zweites Streichquintett in G dur (Op. 111), dessen erste Bekanntschaft uns Rosé und Genossen voriges Jahr vermittelt hatten. In dieser Saison war denselben Künstlern nun auch vergönnt, uns unter Mitwirkung eines tüchtigen, aber nicht besonders poetische veranlagten Bläsers (des Hrn. Steiner, von der Hauscapelle des Barons Rothschild) J. Brahms’ neuestes, unvergleichliches Meisterwerk auf dem Gebiet der Kammermusik: das Quintett mit Clarinette in H moll erstmalig vorzuführen. Seit Jahren hat keine Brahms’sche bedeutendere Novität gleich aufs erste Mal so unwiderstehlich eingeschlagen, wie dieses gleichsam aus dem innersten Klangwesen der Clarinette blühend hervorgewachsene Quintett, und Sie können sich denken, wie sich der Eindruck noch steigerte, als bald darauf eine Elite von Künstlern allerersten Ranges, nämlich der herzogl. Meiningensche Kammermusiker Mühlfeld und das Berliner Quartett Joachim, das gleich meisterlich gebildete, wie poesievolle Werk neuerdings vortrug.
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