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Krause, M.
»27. Tonkünstler-Versammlung des Allgemeinen deutschen Musikvereins«
in: Musikalisches Wochenblatt. Organ für Musiker und Musikfreunde, Jg. 21, Heft 29, Donnerstag, 10. Juli 1890, Rubrik »Tagesgeschichte/Musikbriefe«, S. 364–365

relevant für die veröffentlichten Bände: III/6 Tod und Verklärung
[364]
Eisenach.
27. Tonkünstler-Versammlung des Allgemeinen deutschen Musikvereins.

(Fortsetzung.)

Mit dem fünften Concert erreichte das Tonkünstlerfest seinen Höhepunct. Zwar prägte auch diese Veranstaltung den Fehler aller anderen Concerte, die übergrosse Länge, deutlich aus, aber man vergass denselben zum ersten Male über der werthvollen Art des Gebotenen. […] [365] […]

Dass man Richard Strauss den bedeutendsten Platz im bedeutsamsten Concert angewiesen hatte, ist allseitig mit grosser Freude begrüsst worden. Wer es noch nicht wusste, dass Strauss trotz seiner Jugend Eines der grössten Compositionstalente unserer Zeit ist, dem wurde hier der deutliche Beweis geliefert. Seine Erscheinung überragt thurmhoch alle die Vertreter des Landläufigen und Hergebrachten, und ist seine Entwickelung auch, wie es selbstverständlich ist, noch nicht am letzten Ziele angelangt, so prägt sich doch schon jetzt in seinem Schaffen eine so entschiedene Eigenart aus, dass man über die Bedeutsamkeit des Kommenden gar nicht im Zweifel sein kann. Der Entwickelungsgang des jungen Meisters ist merkwürdig genug; seine Werke vertreten im Anfang ganz den Charakter der nachclassischen Periode Mendelssohn-Schumann, die späteren wenden sich entschieden Brahms zu, dann wird der letzte Beethoven als Ausganspunct genommen und mit kühner Wendung Liszt erreicht. Niemals handelt es sich aber auf diesem Wege um schwächliches Anlehnen, um ängstliche Anleihen, selbst in den Anfangscompositionen zeigen sich deutliche Spuren eines starken selbständigen Geistes, desselben Geistes, der in den beiden in Eisenach aufgeführten Compositionen: »Burleske« und symphonische Dichtung »Tod und Verklärung« mit Sturmesbrausen, unaufhaltsam unwiderstehlich hervorbricht. Da mag es Manchem angst und bange werden! Man hat in der »Burleske« – der Titel ist wohl nur ein Scherz – ein Anlehnen an Brahms sehen wollen –, ich meine, man kann viel deutlicher die Spuren des Geistes des gewaltigsten Scherzos aller Zeiten, des der 9. Symphonie, nachweisen. Entschieden hat das Strauss’sche Werk Etwas von dem genialen Zug jenes Stückes, von seiner dämonischen Kraft, und sicherlich ist es nicht Zufall, dass auch die Tonart Beider eine gemeinsame ist. Sehr bemerkenswerth ist auch das Stück in formeller Beziehung, in welcher es ganz ohne Parallele dasteht. Die symphonische Dichtung »Tod und Verklärung« vertritt das Grundprincip symphonischen Schaffens »Durch Nacht zum Licht«, »Durch Kampf zum Sieg« in neuer kühner Weise. In dem Stück tritt ein fabelhaftes Talent zum Charakterisiren hervor, eine Begabung, der die andere zur glänzenden Instrumentation ebenbürtig ist. Aus dem Ganzen spricht ein künstlerischer Ernst, der bei der Jugend des Componisten nahezu seltsam berührt, ebenso merkwürdig ist es, dass ein jugendkräftiger, thatenfroher Mann sich musikalisch in die letzten Probleme des Daseins vertieft, mit einer so kräftigen Phantasie, dass man ein greifbares Bild seiner poetischen Intention erhält. Trotz der merkwürdigen Richtung, welche sein Schaffen in diesem Werk nimmt, spricht Strauss eine jedem ernsthaft Zuhörenden verständliche Sprache, und das macht den grossartigen Eindruck erklärlich, welchen das ernste Werk bei der Zuhörerschaft machte: Dieselbe jubelte den dirigirenden Componisten immer und immer wieder hervor. Nach den Klängen der symphonischen Dichtung von Strauss mögen ängstliche Naturen augeathmet haben, als Joachim’s ganz im kühlen akademischen Stil geschriebenes Concert erklang. Das ist auch Musik! und zwar feingeformte, nobel empfundene, aber man wird nicht warm dabei, es geht Alles so wohlgesittet zu, ohne schreckhafte Phantasiegebilde, ohne den frevelhaften Hinweis, dass nach den alten Göttern auch neue kommen könnten. […] Mit zwei Nummern von Berlioz schloss das merkwürdige Concert ab: Frau Moran-Olden sang mit hinreissendem Ausdruck »Auf den Lagunen« und »Der Geist der Rose« aus den »Sommernächten«, und unter Capellmeister Strauss’ genialer Leitung errang die Ouverture zu »König Lear« einen grossen Erfolg. Es erübrigt nur noch, auf die Ausführung des Clavierparts in der »Burleske« durch Eugen d’ Albert hinzuweisen, der unvergleichlich schön, mit dämonischem Feuer und staunenswerther Kraft spielte, und Hrn. Giessen für seine sehr feine Ausführung der Lieder von Fuchs die gebührende Anerkennung zu spenden.

(Schluss folgt.)

verantwortlich für die Edition dieses Dokuments: Stefan Schenk

Zitierempfehlung

Richard Strauss Werke. Kritische Ausgabe – Online-Plattform, richard‑strauss‑ausgabe.de/b43267 (Version 2022‑11‑18).

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