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Kordy, S. K.
»Musikalische Spaziergänge durch London«
in: Neue Zeitschrift für Musik, Bd. 99, Jg. 70, Heft 35/36, Mittwoch, 2. September 1903, S. 465–467

relevant für die veröffentlichten Bände: III/5 Don Juan
Musikalische Spaziergänge durch London.

14. Juni. Es scheint fast als wären wir vielleicht denn doch etwas zu sehr gesegnet mit Musical Festivals in der heurigen season. Kaum ist das sogenannte Beethoven-Fest verklungen, mit seinem unbestrittenen künstlerischen Erfolg und dem Dirigenten-Triumph Felix Weingartner’s, als auch schon das Richard Strauss-Festival seinen Einzug feierte. An der Spitze des Amsterdamer Konzertgebouw Symphonie Orchesters standen dessen ständiger Leiter Herr Willelm [466] Mengelberg und Richard Strauss. Das Publikum wurde in hellen Scharen erwartet, wie sich das wohl auch geziemt hatte, allein St. James’ Hall wollte sich nicht immer so füllen, wie wir und mit uns Herr Hugo Görlitz der unermüdliche Streiter und Verbreiter Strauss’scher Musikphilosophie erwartet hätte. Das gibt zum Nachdenken Anlass. Sollte denn wirklich Strauss’ Musik und seine scharfimponirende Persönlichkeit als Dirigent nicht mehr genügende Anziehungskraft ausüben, um die angekündigten fünf Konzerte zu füllen! Allerdings ist es höchst merkwürdig und verdient hier aufgezeichnet zu werden, wie verschiedenartig Richard Strauss hier beurteilt, aufgefasst und – verstanden wird. Fast will es uns bedünken, dass Richard der Kleine die selben Schwierigkeiten durchzukämpfen hat, wie Richard der Grosse von Bayreuth, ehe sich ihm die ungezählten Millionen begeisternd zuwenden werden. Londons grosse musikalische Massen, deren Durchschnittsverhältnis nach so vielen Jahren glücklich bei »Tristan und Isolde« gelandet ist, ist für den Moment wenigstens noch nicht Strauss-reif. Die Meisten, die da kommen, tasten noch so ziemlich im Finstern herum und wissen sich nicht recht Bescheid, was ihnen in den Strauss’schen Werken gefallen sollte. Für Wagner sind die Massen erzogen worden, für Strauss müssen sie gedrillt werden! Einem musikalisch tüchtig trainirten Ohr ist es oft schwer, in den Urwäldern Strauss’scher Polyphonie sich zurecht zu finden, und was sollen da erst die Nichttrainirten anfangen, wenn der Strauss’sche Ozean zu wogen und zu toben beginnt! Immerhin bleibt Eines als feststehend, dass wir in den Tonpoesien von Richard Strauss einem gigantischen Gehirn gegenüberstehen, dem gottbegnadeten Gehirn eines Tondichters, der immer Grosses anstrebt und das mit grossen geistigen Mitteln auch immer zu erreichen bestrebt ist.

In seinem »Don Juan« zeigt Richard Strauss seine Geistesverwandtschaft mit Richard Wagner und – Johann Strauss!. Wie in keinem anderen seiner Tongemälde zeigt uns hier Richard Strauss, zu welcher klassischen Höhe sich musikalischer Humor hinaufzuschwingen vermag. Das Ganze ist eigentlich die Illustration eines Riesen-Witzes, die köstliche Untermalung sarkastischer Tonbilder, und nach dieser Arbeit, die dem Schöpfer zur höchsten Ehre gereicht, darf Strauss in die Reihe der ersten modernen Meister miteingerechnet werden. –

In seinem »Heldenleben« haben wir uns schon oft gefragt: ob das auch wirklich eine musikalische Heldentat ist? – Nach mehrmaligem Hören muss die Antwort in bejahendem Sinne gegeben werden. Hier hat Richard Strauss sein Bestes gegeben und ein Werk geschaffen, dass Manches aus seiner früheren Schaffensperiode lange überleben wird. – Wenn man den Tonschilderungen mit jenen der erläuternden im Programmbuch aufmerksam folgt, wird man mit aufrichtigem Staunen erkennen müssen, welche Fülle von Gedanken, welch’ enorme Kunstbeherrschung des Stoffes, welches geradezu faszinirende Aufgebot von Geist, Geschmack und Kunst in diesem Werke aufgehäuft liegt. Und hier finden wir auch wieder das kaum glaubliche Auseinandergehen der Auffassungen in der Londoner Fach- und Tagespresse. Während die Einen behaupten, wir haben es hier mit einem – »Miniatur-Nibelungenring« zu tun, suchen die Anderen in nörgelnder Absicht Fehler in Form und Aufbau und ähnliche Weitschweifigkeiten herauszufinden. Den Werken Richard Strauss’ ist vorderhand die Einmütigkeit der Bewunderung versagt, doch sie wird kommen eines Tages, so wie die Erkenntnis sich eingestellt hat in Bezug auf Richard Wagners Werke. Richard Strauss ist und bleibt, vorläufig wenigstens, der grösste Tonmaler unserer Zeit. Der Schwerpunkt seines grossen Talentes liegt nach unserem Dafürhalten auf der Bühne. Dort müsste er Kraft und Können aufsparen, um Werke zu schaffen, die wert sein sollten, nach Wagner aufgeführt zu werden. Wer tonmalerisch und zugleich dramatisch so hochentwickelt ist wie er, der muss seine einzige Zuflucht zu den Brettern nehmen, die das Musik-Drama bedeuten. Freilich müssten es mächtige, dramatisch wirksame Tonschöpfungen sein, angeregt von dem heiligen Feuer seiner reichen Phantasie, aber nicht etwa Schöpfungen, in denen »Feuersnot« zu verspüren ist! Die Begriffe Einakter und Richard Strauss decken sich entschieden nicht, ja sie sind nahezu absurd. Wer als Tonfürst geboren ist, der sollte keine einaktigen Handlangerdienste verrichten!

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verantwortlich für die Edition dieses Dokuments: Stefan Schenk

Zitierempfehlung

Richard Strauss Werke. Kritische Ausgabe – Online-Plattform, richard‑strauss‑ausgabe.de/b43217 (Version 2018‑01‑26).

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