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Lange, Richard
[ohne Titel]
in: Neue Zeitschrift für Musik, Bd. 94, Jg. 65, Heft 33, Leipzig, Mittwoch, 17. August 1898, S. 356–357

relevant für die veröffentlichten Bände: III/5 Don Juan
Magdeburg.
[…] [357] […]
Concert des Berliner Philharmonischen Orchesters.

Mit dem verflossenen Winter steht Arthur Nikisch auch an der Spitze des Berliner Philharmonischen Orchesters. A. Nikisch, gleichzeitig Dirigent der Leipziger Gewandhausconcerte, hat damit die Leitung der beiden zur Zeit berühmten Orchester in einer Hand vereinigt. Die großen künstlerischen Erfolge mögen den genialen Dirigenten veranlaßt haben, mit diesem Orchester auf Reisen zu gehen. So waren für Monat Mai mit den fünf Concerten in Pairs und mit der Aufführung der Becker’schen Bmoll-Messe in Genf achtzehn Concerte in verschiedenen Städten Deutschlands, Belgiens und der Schweiz geplant. In Magdeburg wurde dieser gewaltige Concertreigen am 5. Mai eröffnet. Eine Stärke des Philahrmonischen Orchester besteht zum einen Theil in dem ideal schönen Streichquintett, zum andern Theil in der ebenso vorzüglichen quaintitativen Zusammensetzung der einzelnen Chöre, unter denen neben dem Streicher- der Holzbläserchor die hervorragendeste Stelle einnimmt. Seine augenblicklichen Erfolge, die größten nach Bülow’s Heimgange, verdankt das Orchester Arthur Nikisch, einem Manne, dessen äußerer apathischer Ausdruck die große innere, wir möchten sagen fast nervöse Antheilnahme an der künstlerischen Gesammtarbeit nur wenig verbergen kann. Nickisch geht vollständig auf in der Nach-Beethoven’schen Periode, wie sie ein Wagner in ihre größte Steigerung gebracht hat, ohne darüber auch selbst die anscheinend nebensächliche und untergeordnetste Stimme unbeachtet zu lassen, und auf diese Weise steigert dieser »geniale« Dirigent die satte Farbenpracht in den Werken der Neudeutschen, von denen er uns mit Richard Strauß’ »Don Juan« eine der besten Proben gab, zu einer ungeahnten Höhe. Nikisch wird damit für lange Zeit den ersten Platz unter den Dirigenten der Programmmusik behaupten. Mit seinem schönen Concertprogramm gab er den untrüglichen Beweis. Fast überall von Beethoven ausgehend gab er in wenigen, aber gewaltigen Nummern eine Uebersicht über die Entwicklung der symphonischen Musik über Schumann bis Wagner. In Wagner’s »Waldweben«, »Siegfried-Idyll«, »Trauermarsch aus der Götterdämmerung« etc. ist eine symphonische Musik geschaffen, die als seine Symphoniemusik nur von denen nicht anerkannt wird, welche in Wagner lediglich den Schöpfer des musikalischen Dramas erblicken. Was Nickisch’s individuelle Auffassung anbetrifft, so wird man diese aus seiner Persönlichkeit vollständig verstehen lernen. Bei seiner colossalen Auffassungsgabe einer symphonischen Dichtung würde er die, die nach ihrem Inhalte und den einzelnen Chören nur wenig vollendet ausgestaltet wären, vollständig in die einzelnen Bestandtheile auflösen. Wo aber wie bei Rich. Strauß und Wagner der Satzbau und die Gliederung von der Harmonie mit mächtigem Gezweige fast verdeckt wird, da zertheilt seine Künstlerhand das Blättergewirr mit verblüffender Eleganz für unser Auge und löst uns das Vielgestaltige in die einzelnen, deutlich erkennbaren Linien auf. Dazu ist ihm das Capricieuse wie im II. Satz der Schumann’schen Bdur-Symphonie mit seine cascadenartigen Figuren in der Ausgestaltung ebenso zugänglich, wie das glühende Flimmern der wollustgetränkten Lust im Hörselberge, wie das süße Weben im deutschen Walde; für letzteres verfügt das Streichquintett des berühmten Orchesters über ein zauberisches Pianissimo. Nikisch ging von hier, wo er enthusiastisch gefeiert wurde, über Bonn und Lüttich zunächst nach Paris. Es ist bestimmt anzunehmen, daß dieser geniale Dirigent auch dort mit der höchsten Begeisterung empfangen werden wird. In Magedeburgs Mauern hoffen wir Herrn Nikisch recht bald wiederzusehen.

verantwortlich für die Edition dieses Dokuments: Stefan Schenk

Zitierempfehlung

Richard Strauss Werke. Kritische Ausgabe – Online-Plattform, richard‑strauss‑ausgabe.de/b43197 (Version 2018‑01‑26).

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